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Ingo Herklotz
des Moses und anderes55. Diese Tempelschätze hatte Titus im Triumph nach Rom
gebracht und zunächst im Templum Pacis aufbewahrt, bevor Konstantin, so die le-
gendäre Überlieferung, sie dann an die neugegründete Erlöserkirche verschenkte.
Daß die Darstellungen des Portikus im Zusammenhang mit den Tempelreliquien
standen, ist kaum zu bezweifeln, doch eröffnet die vermeintliche Geschichte der
Tempelschätze einen sehr viel weiteren Horizont. Sie führt uns auf das Verhältnis
zwischen Papsttum und Altem Bund, zwischen der christlichen Kirche und ihren
alttestamentarischen Wurzeln.
Einzelner Bezugspersonen des Alten Testaments bediente sich die päpstliche
Rhetorik bereits zu einem frühen Zeitpunkt, wobei der Gestalt des Moses besondere
Aufmerksamkeit zuteil wurde. Um die Rechtskompetenzen des apostolischen
Stuhls zu legitimieren, verweist schon Innozenz I. (401M17) auf Exodus 18, 22, wo
es heißt, Moses solle Richter über das Volk einsetzen, alle schweren Fälle dagegen
seiner eigenen Entscheidungsgewalt Vorbehalten56. Seit der Entstehung des Kardi-
nalkollegiums im 11. Jahrhundert wurde das Moses-Bild wiederholt bemüht, um
das Verhältnis des römischen Bischofs gegenüber den beratenden Kardinälen zu de-
finieren, das man im Kreis des Moses und der 70 Ältesten vorgebildet sah57. Inno-
zenz III. bediente sich derselben Gleichsetzung in seiner berühmten Bulle Per vene-
rabilem (1202), die nach ihrer Aufnahme in das Corpus iuris canonici noch von den
päpstlichen Theoretikern des 15. Jahrhundert mehrfach herangezogen wurde58. Das
Thema des Papstes als neuer Moses bestimmte unter Sixtus IV. schließlich die male-
rische Ausstattung der Sixtinischen Kapelle59.
Weihe und Krönung des westlichen Kaisers berechtigten zu einer anderen Par-
allele: Hier trat der Papst in der Rolle des Samuel auf, der Kaiser hingegen als neuer
David60. Mit der imitatio imperii des Reformpapsttums erschienen die Bezeichnun-
gen David und Salomon dann auch in der päpstlichen Panegyrik, und Innozenz III.
galt seinen Zeitgenossen, wenngleich bisweilen unter satirischem Vorzeichen, als
novus Salomon und selbst als Salomon tercius61.
55 Codice topografico (wie Anm. 51), Bd. 3, S. 337.
56 Erich Caspar, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft,
Bd. 1, Tübingen 1930, S. 306-307. Die Parallelsetzung des Papstes mit Moses mag durch eine äl-
tere Tradition erleichtert worden sein, die einen typologischen Zusammenhang zwischen Mo-
ses und Petrus erkannte; dazu Antonio Rimoldi, L'apostolo San Pietro fondamento della Chie-
sa, principe degli apostoli ed ostiario celeste nella Chiesa primitiva dalle origini al Concilio di
Calcedonia, Rom 1958, S. 317-320.
57 Hierzu bes. Giuseppe Alberigo, Cardinalato e collegialitä. Studi sull' ecclesiologia tra T XI e il
XIV secolo, Florenz 1969, S. 31, 64f., 72-84,138f.
58 Imkamp, Kirchenbild (wie Anm. 6), S. 286f. mit Anm. 102.
59 Noch immer grundlegend: Leopold D. Ettlinger, The Sistine Chapel before Michelangelo. Re-
ligious Imagery and Papal Primacy, Oxford 1965; danach bes. Carol F. Lewine, The Sistine
Chapel Walls and the Roman Liturgy, University Park 1993, mit weiterer Literatur.
60 Ullmann, Machtstellung (wie Anm. 6), S. 223-225, 319. Eine solche alttestamentarische Herr-
schaftsauffassung wurde den Kronanwärtem freilich nicht erst durch das Papsttum nahege-
bracht. Gerade die Karolinger sahen sich selbst in der Tradition des salomonischen und davidi-
schen Königtums. Vgl. Walter Mohr, Die karolingische Reichsidee, Münster 1962, S. 22-24;
oder auch Hugo Steger, David Rex et Propheta. König David als vorbildliche Verkörperung
des Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften
Jahrhunderts, Nürnberg 1961, bes. S. 125-132.
61 Quellen bei Herklotz, »Sepulcra« (wie Anm. 45), S. 121 mit Anm. 180, S. 138 mit Anm. 176-179;
für Innozenz III. vgl. man Karl Hampe, Eine Schilderung des Sommeraufenthalts der römi-
Ingo Herklotz
des Moses und anderes55. Diese Tempelschätze hatte Titus im Triumph nach Rom
gebracht und zunächst im Templum Pacis aufbewahrt, bevor Konstantin, so die le-
gendäre Überlieferung, sie dann an die neugegründete Erlöserkirche verschenkte.
Daß die Darstellungen des Portikus im Zusammenhang mit den Tempelreliquien
standen, ist kaum zu bezweifeln, doch eröffnet die vermeintliche Geschichte der
Tempelschätze einen sehr viel weiteren Horizont. Sie führt uns auf das Verhältnis
zwischen Papsttum und Altem Bund, zwischen der christlichen Kirche und ihren
alttestamentarischen Wurzeln.
Einzelner Bezugspersonen des Alten Testaments bediente sich die päpstliche
Rhetorik bereits zu einem frühen Zeitpunkt, wobei der Gestalt des Moses besondere
Aufmerksamkeit zuteil wurde. Um die Rechtskompetenzen des apostolischen
Stuhls zu legitimieren, verweist schon Innozenz I. (401M17) auf Exodus 18, 22, wo
es heißt, Moses solle Richter über das Volk einsetzen, alle schweren Fälle dagegen
seiner eigenen Entscheidungsgewalt Vorbehalten56. Seit der Entstehung des Kardi-
nalkollegiums im 11. Jahrhundert wurde das Moses-Bild wiederholt bemüht, um
das Verhältnis des römischen Bischofs gegenüber den beratenden Kardinälen zu de-
finieren, das man im Kreis des Moses und der 70 Ältesten vorgebildet sah57. Inno-
zenz III. bediente sich derselben Gleichsetzung in seiner berühmten Bulle Per vene-
rabilem (1202), die nach ihrer Aufnahme in das Corpus iuris canonici noch von den
päpstlichen Theoretikern des 15. Jahrhundert mehrfach herangezogen wurde58. Das
Thema des Papstes als neuer Moses bestimmte unter Sixtus IV. schließlich die male-
rische Ausstattung der Sixtinischen Kapelle59.
Weihe und Krönung des westlichen Kaisers berechtigten zu einer anderen Par-
allele: Hier trat der Papst in der Rolle des Samuel auf, der Kaiser hingegen als neuer
David60. Mit der imitatio imperii des Reformpapsttums erschienen die Bezeichnun-
gen David und Salomon dann auch in der päpstlichen Panegyrik, und Innozenz III.
galt seinen Zeitgenossen, wenngleich bisweilen unter satirischem Vorzeichen, als
novus Salomon und selbst als Salomon tercius61.
55 Codice topografico (wie Anm. 51), Bd. 3, S. 337.
56 Erich Caspar, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft,
Bd. 1, Tübingen 1930, S. 306-307. Die Parallelsetzung des Papstes mit Moses mag durch eine äl-
tere Tradition erleichtert worden sein, die einen typologischen Zusammenhang zwischen Mo-
ses und Petrus erkannte; dazu Antonio Rimoldi, L'apostolo San Pietro fondamento della Chie-
sa, principe degli apostoli ed ostiario celeste nella Chiesa primitiva dalle origini al Concilio di
Calcedonia, Rom 1958, S. 317-320.
57 Hierzu bes. Giuseppe Alberigo, Cardinalato e collegialitä. Studi sull' ecclesiologia tra T XI e il
XIV secolo, Florenz 1969, S. 31, 64f., 72-84,138f.
58 Imkamp, Kirchenbild (wie Anm. 6), S. 286f. mit Anm. 102.
59 Noch immer grundlegend: Leopold D. Ettlinger, The Sistine Chapel before Michelangelo. Re-
ligious Imagery and Papal Primacy, Oxford 1965; danach bes. Carol F. Lewine, The Sistine
Chapel Walls and the Roman Liturgy, University Park 1993, mit weiterer Literatur.
60 Ullmann, Machtstellung (wie Anm. 6), S. 223-225, 319. Eine solche alttestamentarische Herr-
schaftsauffassung wurde den Kronanwärtem freilich nicht erst durch das Papsttum nahege-
bracht. Gerade die Karolinger sahen sich selbst in der Tradition des salomonischen und davidi-
schen Königtums. Vgl. Walter Mohr, Die karolingische Reichsidee, Münster 1962, S. 22-24;
oder auch Hugo Steger, David Rex et Propheta. König David als vorbildliche Verkörperung
des Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften
Jahrhunderts, Nürnberg 1961, bes. S. 125-132.
61 Quellen bei Herklotz, »Sepulcra« (wie Anm. 45), S. 121 mit Anm. 180, S. 138 mit Anm. 176-179;
für Innozenz III. vgl. man Karl Hampe, Eine Schilderung des Sommeraufenthalts der römi-