118
Franz J. Felten
wüßten, was die Protagonisten zu dem allein überlieferten Handeln - wenn es sich
denn so zugetragen hat, wie es jeweils berichtet wird - bewogen haben mag.
Nicht immer sind wir in diesem Maße auf Vermutungen angewiesen. Für die
Konzeption von Roncaglia< sind die Voraussetzungen eines sicheren Urteils, so
scheint es, recht gut. Wir haben Texte, die eine Interpretation zu tragen versprechen,
wir kennen die Vorgeschichte, die Nachwirkungen - und doch fragt man sich bei-
spielsweise immer noch, wie hoch die Bedeutung der fiskalischen Interessen für
Barbarossas Haltung gegenüber den italienischen Kommunen zu veranschlagen sei.
Noch eine höhere Stufe der historischen (Re-)Konstruktion, weg von den Quel-
len zu abstrahierender Begriffsbildung, erklimmen wir mit Vorstellungen, die wir
mit Quellenbegriffen wie honor imperii verbinden bzw. evozieren104, oder auch mit
Wörtern unserer Wissenschaftssprache wie Territorialisierung, Feudalisierung, Um-
bau der Reichsverfassung - Verabredungsbegriffe, mit denen Historiker die Ord-
nungsvorstellungen des 12. Jahrhunderts in den Griff zu bekommen versuchen. Ha-
ben Kaiser des 12. Jahrhunderts, um die Problematik etwas simpel zu exemplifizie-
ren, mit ihren Beratern das Wormser Konkordat und die ihm zugrundeliegende
Regalientheorie analysiert, daraus den Schluß gezogen, hieraus ließe sich ein trag-
fähiges juristisch abgesichertes Strukturprinzip für das Reich gewinnen und hätten
dann beschlossen, ausgehend von den Reichsprälaten das >Lehnswesen< zur Struk-
turierung der politischen Beziehungen im Reich zu machen? Ist der öffentliche Akt
der Investitur eine Reaktion auf die Erblichkeit der Lehen, weil neue Mittel gefun-
den werden mußten, in einer polyzentrischen Ordnung die Hierarchie und die
wechselseitigen Verpflichtungen sichtbar zu machen105? Können wir aus der Tatsa-
che, daß oft erwähnt wird (wie oft?), viele Fürsten seien an Entscheidungen Barba-
rossas beteiligt gewesen, die Absicht des Kaisers ableiten, er sei bestrebt gewesen,
seine Entscheidungen von einer möglichst großen Zahl von Fürsten mittragen zu
lassen106? In Analogie zur Diskussion um den Konsens unter Karl dem Großen und
schichtsschreiber in ihren Berichten über dieses verpaßte Treffen geprägt und das Urteil über
Kaiser und König bestimmt habe.
104 Vgl. jetzt Görich, Die Ehre Barbarossas (wie Anm. 29) sowie Schlick, König, Fürsten und
Reich (wie Anm. 101), bes. S. 188-190: »Concordia und honor - eine Idee im Wandel«.
105 Keller, Investitur (wie Anm. 62), S. 78.
106 Töpfer, Reichsepiskopat (wie Anm. 6), S. 394; Jutta Schlick, Die wiedergefundene Eintracht -
König und Fürsten im Reichsgefüge des 12. Jahrhunderts, in: Macht und Ordnungsvorstellungen
im hohen Mittelalter. Werkstattberichte, hg. von Stefan Weinfurter/Frank Martin Siefarth
(Münchener Kontaktstudium Geschichte 1), Neuried 1998, S. 125-144, bes. S. 138f.: »Nachdem
der Wirkverbund von Herrscher und Großen unter Heinrich V. erneut zerbrochen war, ging die
Initiative zu einem Neubeginn von den Fürsten aus; sie waren es, die der neuen Handlungsge-
meinschaft die Idee zugrunde legten, die sich als äußerst tragfähig auch in Krisensituationen er-
wies. Durch ihre Bereitschaft zum Konsens gaben sie dem Reich eine Stabilität, die vorher vom
Königtum ausgegangen war, garantierten sie den Bestand der Ordnung, der durch die beiden
letzten Salier gefährdet worden war. Die Zusammenarbeit mit dem Herrscher, die natürlich auch
schon vorher durch Consilium et auxilium, durch Rat und Hilfe gewährleistet war, gewann da-
durch eine neue Qualität, neue Impulse gingen verstärkt von den Großen aus, immer häufiger er-
bat der König auf Hoftagen Fürstenentscheide in den verschiedensten Belangen. Wenn also un-
ter Friedrich Barbarossa eine - als fortschrittlich bewertete - intensivierte Einbindung der Für-
sten in die Reichsgeschäfte konstatiert wird, so liegen die Ursachen dafür weniger bei ihm und
auch weniger in seiner Zeit, als vielmehr in der Entwicklung eines neuen fürstlichen Selbstver-
ständnisses seit Beginn des 12. Jahrhunderts«. Vgl. jetzt Dies., König, Fürsten und Reich (wie
Anm. 101), bes. S. 183-188: »Die Fürsten als Träger des Reiches und Garanten der Ordnung«.
Franz J. Felten
wüßten, was die Protagonisten zu dem allein überlieferten Handeln - wenn es sich
denn so zugetragen hat, wie es jeweils berichtet wird - bewogen haben mag.
Nicht immer sind wir in diesem Maße auf Vermutungen angewiesen. Für die
Konzeption von Roncaglia< sind die Voraussetzungen eines sicheren Urteils, so
scheint es, recht gut. Wir haben Texte, die eine Interpretation zu tragen versprechen,
wir kennen die Vorgeschichte, die Nachwirkungen - und doch fragt man sich bei-
spielsweise immer noch, wie hoch die Bedeutung der fiskalischen Interessen für
Barbarossas Haltung gegenüber den italienischen Kommunen zu veranschlagen sei.
Noch eine höhere Stufe der historischen (Re-)Konstruktion, weg von den Quel-
len zu abstrahierender Begriffsbildung, erklimmen wir mit Vorstellungen, die wir
mit Quellenbegriffen wie honor imperii verbinden bzw. evozieren104, oder auch mit
Wörtern unserer Wissenschaftssprache wie Territorialisierung, Feudalisierung, Um-
bau der Reichsverfassung - Verabredungsbegriffe, mit denen Historiker die Ord-
nungsvorstellungen des 12. Jahrhunderts in den Griff zu bekommen versuchen. Ha-
ben Kaiser des 12. Jahrhunderts, um die Problematik etwas simpel zu exemplifizie-
ren, mit ihren Beratern das Wormser Konkordat und die ihm zugrundeliegende
Regalientheorie analysiert, daraus den Schluß gezogen, hieraus ließe sich ein trag-
fähiges juristisch abgesichertes Strukturprinzip für das Reich gewinnen und hätten
dann beschlossen, ausgehend von den Reichsprälaten das >Lehnswesen< zur Struk-
turierung der politischen Beziehungen im Reich zu machen? Ist der öffentliche Akt
der Investitur eine Reaktion auf die Erblichkeit der Lehen, weil neue Mittel gefun-
den werden mußten, in einer polyzentrischen Ordnung die Hierarchie und die
wechselseitigen Verpflichtungen sichtbar zu machen105? Können wir aus der Tatsa-
che, daß oft erwähnt wird (wie oft?), viele Fürsten seien an Entscheidungen Barba-
rossas beteiligt gewesen, die Absicht des Kaisers ableiten, er sei bestrebt gewesen,
seine Entscheidungen von einer möglichst großen Zahl von Fürsten mittragen zu
lassen106? In Analogie zur Diskussion um den Konsens unter Karl dem Großen und
schichtsschreiber in ihren Berichten über dieses verpaßte Treffen geprägt und das Urteil über
Kaiser und König bestimmt habe.
104 Vgl. jetzt Görich, Die Ehre Barbarossas (wie Anm. 29) sowie Schlick, König, Fürsten und
Reich (wie Anm. 101), bes. S. 188-190: »Concordia und honor - eine Idee im Wandel«.
105 Keller, Investitur (wie Anm. 62), S. 78.
106 Töpfer, Reichsepiskopat (wie Anm. 6), S. 394; Jutta Schlick, Die wiedergefundene Eintracht -
König und Fürsten im Reichsgefüge des 12. Jahrhunderts, in: Macht und Ordnungsvorstellungen
im hohen Mittelalter. Werkstattberichte, hg. von Stefan Weinfurter/Frank Martin Siefarth
(Münchener Kontaktstudium Geschichte 1), Neuried 1998, S. 125-144, bes. S. 138f.: »Nachdem
der Wirkverbund von Herrscher und Großen unter Heinrich V. erneut zerbrochen war, ging die
Initiative zu einem Neubeginn von den Fürsten aus; sie waren es, die der neuen Handlungsge-
meinschaft die Idee zugrunde legten, die sich als äußerst tragfähig auch in Krisensituationen er-
wies. Durch ihre Bereitschaft zum Konsens gaben sie dem Reich eine Stabilität, die vorher vom
Königtum ausgegangen war, garantierten sie den Bestand der Ordnung, der durch die beiden
letzten Salier gefährdet worden war. Die Zusammenarbeit mit dem Herrscher, die natürlich auch
schon vorher durch Consilium et auxilium, durch Rat und Hilfe gewährleistet war, gewann da-
durch eine neue Qualität, neue Impulse gingen verstärkt von den Großen aus, immer häufiger er-
bat der König auf Hoftagen Fürstenentscheide in den verschiedensten Belangen. Wenn also un-
ter Friedrich Barbarossa eine - als fortschrittlich bewertete - intensivierte Einbindung der Für-
sten in die Reichsgeschäfte konstatiert wird, so liegen die Ursachen dafür weniger bei ihm und
auch weniger in seiner Zeit, als vielmehr in der Entwicklung eines neuen fürstlichen Selbstver-
ständnisses seit Beginn des 12. Jahrhunderts«. Vgl. jetzt Dies., König, Fürsten und Reich (wie
Anm. 101), bes. S. 183-188: »Die Fürsten als Träger des Reiches und Garanten der Ordnung«.