Autorität und Funktion
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der gesamten Kirche26 ausgerichteter asketisch-rigoristischer Lebenswandel in der
Nachfolge Christi diente seinen Anhängern als integrales Leitbild und verbindliche
Richtschnur für ihr eigenes Handeln in der Predigt und in der Ausgestaltung des
gemeinschaftlichen Lebens27. Diese enge Bindung der ersten Prämonstratenser an
die Leit- und Stifterfigur Norbert stürzte ihre Bewegung bei seinem Weggang nach
Magdeburg 1126 und frühen Tod 1134 in eine gefährliche Autoritäts- und Existenz-
krise, die nur durch das organisatorische und rechtliche Geschick seines Nachfol-
gers, Hugos von Fosse, und durch das Eingreifen des Papsttums bewältigt wurde28.
Die beispiellose autoritative Förderung des Papsttums für die Zisterzienser
und Prämonstratenser setzte schon in der Gründungsphase von Citeaux29 und Pre-
montre30 ein, als die Päpste und ihre Legaten von der Auswahl des Ortes bis zur Ge-
staltung der je eigenen Lebensform alle wichtigen Entscheidungen der Gründer be-
gleiteten und rechtlich sanktionierten. Das in dieser Zeit begründete enge Verhältnis
haben die Päpste während des gesamten 12. Jahrhunderts jedoch niemals dazu be-
nutzt, beide Reformzentren und ihre Verbände eigentumsrechtlich an sich zu bin-
den.
Für die Gründer von Citeaux bedeuteten die massiven Angriffe durch ihr Ur-
sprungskloster Molesme31 und andere Benediktiner eine existentielle Gefährdung,
den Schülern Norberts über die Auslegung und Befolgung der Regel: Deinde cum singuli singulas
super eandem regulam expositiones et interpretationes, diversas opiniones autumarent, eo quod eins
scripta et aliorum regularium opera videbant non convenire, aliosque ad timorem, aliosque ad dubitatio-
nem, alios ad teporem inducerent... Vgl. Wilfried Marcel Grauwen, De regelkeuze en de eerste
professie te Premontre, in: Analecta Praemonstratensia 72,1996, S. 33-52.
26 Zu Norberts Plan, die gesamte Kirche nach seinem Ordensmodell reformieren zu wollen, Ste-
fan Weinfurter, Norbert von Xanten als Reformkanoniker und Stifter des Prämonstratenser-
ordens, in: Norbert von Xanten. Adliger - Ordensstifter - Kirchenfürst, hg. von Kaspar Elm,
Köln 1984, S. 159-184, hier S. 171f.
27 Stefan Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung des Prämonstratenserordens, in:
Barbarossa und die Prämonstratenser, hg. von der Gesellschaft für staufische Geschichte Göp-
pingen (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 10), Göppingen 1989, S. 67-100, S. 76.
28 Dazu gehörte u. a. die Abfassung der ersten Constitutiones um 1130, womit die »von allen in ei-
ner Weise (...) ausgelegte Regel« (ut ab omnibus regula uno modo intelligatur, uno modo teneatur) an
die Stelle des personalen Prinzips der Autorität trat, Raphael van Waefelghem, Les premiers
Statuts de l'Ordre de Premontre. Le Clm. 17.174 (Xüe siede) (Analectes de l'Ordre de Premontre
9), Louvain 1913, S. 34; Weinfurter, Entstehung (wie Anm. 27), S. 78. Nach Jörg Oberste, Visi-
tation und Ordensorganisation. Formen sozialer Normierung, Kontrolle und Kommunikation
bei Cisterziensem, Prämonstratensern und Cluniazensem (12.-frühes 14. Jahrhundert) (Vita
regularis 2), Münster 1996, S. 179 vollzog sich die Entwicklung der prämonstratensischen Or-
densverfassung »in der Dialektik von päpstlicher Förderung und eigener Initiative«.
29 Exordium parvum cap. 1, ed. Waddell (wie Anm. 12), S. 235: ut eis (sc. Abt Robert und seinen
Mönchen) et sui iuuaminis apostoliceque auctoritatis robur porrigeret (sc. Erzbischof Hugo von Ly-
on); Exordium magnum auctore Conrado (wie Anm. 22), Dist. I, cap. 16, S. 70f. spricht davon,
die päpstlichen Legaten hätten das >Gründungswerk< 1099 Romanae auctoritatis et prudentiae gra-
vitate geprüft und approbiert.
30 Das früheste urkundliche Zeugnis des Papsttums für Premontre ist die Legatenurkunde Petrus'
Leonis und Gregors von San Angelo von 1124, Juni 28, vgl. unten S. 216 mit Anm. 42.
31 Dies vermerkt schon der päpstliche Legat Hugo von Lyon in seinem Brief an Paschalis II. von
1100, Juli-Sept. = Exordium parvum cap. 12, ed. Waddell (wie Anm. 12), S. 248f.; Laurent
Veyssiere, Les relations entre Etienne Harding, Bemard de Clairvaux et l'abbaye de Molesme,
in: Analecta Cisterciensia 53, 1997, S. 45-72, bes. S. 53f. u. 56f.; für Auberger, L'unanimite (wie
Anm. 12), S. 46 dagegen steht das - erst um 1140/50 entstandene - cap. 12 in einem völlig ande-
ren Kontext.
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der gesamten Kirche26 ausgerichteter asketisch-rigoristischer Lebenswandel in der
Nachfolge Christi diente seinen Anhängern als integrales Leitbild und verbindliche
Richtschnur für ihr eigenes Handeln in der Predigt und in der Ausgestaltung des
gemeinschaftlichen Lebens27. Diese enge Bindung der ersten Prämonstratenser an
die Leit- und Stifterfigur Norbert stürzte ihre Bewegung bei seinem Weggang nach
Magdeburg 1126 und frühen Tod 1134 in eine gefährliche Autoritäts- und Existenz-
krise, die nur durch das organisatorische und rechtliche Geschick seines Nachfol-
gers, Hugos von Fosse, und durch das Eingreifen des Papsttums bewältigt wurde28.
Die beispiellose autoritative Förderung des Papsttums für die Zisterzienser
und Prämonstratenser setzte schon in der Gründungsphase von Citeaux29 und Pre-
montre30 ein, als die Päpste und ihre Legaten von der Auswahl des Ortes bis zur Ge-
staltung der je eigenen Lebensform alle wichtigen Entscheidungen der Gründer be-
gleiteten und rechtlich sanktionierten. Das in dieser Zeit begründete enge Verhältnis
haben die Päpste während des gesamten 12. Jahrhunderts jedoch niemals dazu be-
nutzt, beide Reformzentren und ihre Verbände eigentumsrechtlich an sich zu bin-
den.
Für die Gründer von Citeaux bedeuteten die massiven Angriffe durch ihr Ur-
sprungskloster Molesme31 und andere Benediktiner eine existentielle Gefährdung,
den Schülern Norberts über die Auslegung und Befolgung der Regel: Deinde cum singuli singulas
super eandem regulam expositiones et interpretationes, diversas opiniones autumarent, eo quod eins
scripta et aliorum regularium opera videbant non convenire, aliosque ad timorem, aliosque ad dubitatio-
nem, alios ad teporem inducerent... Vgl. Wilfried Marcel Grauwen, De regelkeuze en de eerste
professie te Premontre, in: Analecta Praemonstratensia 72,1996, S. 33-52.
26 Zu Norberts Plan, die gesamte Kirche nach seinem Ordensmodell reformieren zu wollen, Ste-
fan Weinfurter, Norbert von Xanten als Reformkanoniker und Stifter des Prämonstratenser-
ordens, in: Norbert von Xanten. Adliger - Ordensstifter - Kirchenfürst, hg. von Kaspar Elm,
Köln 1984, S. 159-184, hier S. 171f.
27 Stefan Weinfurter, Norbert von Xanten und die Entstehung des Prämonstratenserordens, in:
Barbarossa und die Prämonstratenser, hg. von der Gesellschaft für staufische Geschichte Göp-
pingen (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 10), Göppingen 1989, S. 67-100, S. 76.
28 Dazu gehörte u. a. die Abfassung der ersten Constitutiones um 1130, womit die »von allen in ei-
ner Weise (...) ausgelegte Regel« (ut ab omnibus regula uno modo intelligatur, uno modo teneatur) an
die Stelle des personalen Prinzips der Autorität trat, Raphael van Waefelghem, Les premiers
Statuts de l'Ordre de Premontre. Le Clm. 17.174 (Xüe siede) (Analectes de l'Ordre de Premontre
9), Louvain 1913, S. 34; Weinfurter, Entstehung (wie Anm. 27), S. 78. Nach Jörg Oberste, Visi-
tation und Ordensorganisation. Formen sozialer Normierung, Kontrolle und Kommunikation
bei Cisterziensem, Prämonstratensern und Cluniazensem (12.-frühes 14. Jahrhundert) (Vita
regularis 2), Münster 1996, S. 179 vollzog sich die Entwicklung der prämonstratensischen Or-
densverfassung »in der Dialektik von päpstlicher Förderung und eigener Initiative«.
29 Exordium parvum cap. 1, ed. Waddell (wie Anm. 12), S. 235: ut eis (sc. Abt Robert und seinen
Mönchen) et sui iuuaminis apostoliceque auctoritatis robur porrigeret (sc. Erzbischof Hugo von Ly-
on); Exordium magnum auctore Conrado (wie Anm. 22), Dist. I, cap. 16, S. 70f. spricht davon,
die päpstlichen Legaten hätten das >Gründungswerk< 1099 Romanae auctoritatis et prudentiae gra-
vitate geprüft und approbiert.
30 Das früheste urkundliche Zeugnis des Papsttums für Premontre ist die Legatenurkunde Petrus'
Leonis und Gregors von San Angelo von 1124, Juni 28, vgl. unten S. 216 mit Anm. 42.
31 Dies vermerkt schon der päpstliche Legat Hugo von Lyon in seinem Brief an Paschalis II. von
1100, Juli-Sept. = Exordium parvum cap. 12, ed. Waddell (wie Anm. 12), S. 248f.; Laurent
Veyssiere, Les relations entre Etienne Harding, Bemard de Clairvaux et l'abbaye de Molesme,
in: Analecta Cisterciensia 53, 1997, S. 45-72, bes. S. 53f. u. 56f.; für Auberger, L'unanimite (wie
Anm. 12), S. 46 dagegen steht das - erst um 1140/50 entstandene - cap. 12 in einem völlig ande-
ren Kontext.