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Alfons Becker
hat in seinem Tagungsbeitrag über »Päpstliche Liturgie und päpstliches Zeremoni-
ell« auf diesen Prozeß aufmerksam gemacht, der im Laufe des 12. Jahrhunderts zu
einer gewissen Distanzierung der Päpste von Rom führte. Das beginnt recht deut-
lich mit Urban II., der, teils notgedrungen, teils aber auch ganz programmatisch
(z. B. während seiner Frankreichreise) außerhalb Roms päpstliche Amtsführung
und Kirchenregierung praktizierte; die Auslandsreisen, insbesondere die Frank-
reichaufenthalte seiner Nachfolger (Paschalis II., Gelasius II., Calixt II., Innozenz II.,
Eugen III., Alexander III.) mußten diese Entwicklung nur noch verstärken. Man war
im übrigen gerade dabei auch auf feierliche Selbstdarstellung des Papsttums be-
dacht, worüber wir leider nur wenige knappe, gelegentlich aber doch charakteristi-
sche Nachrichten haben, etwa über zeremoniell besonders ausgestaltete Vorgänge
während der Aufenthalte Urbans II. in Limoges (1095/96) und Tours (1096) oder
Paschalis7 II. in Tours (1107) und Innozenz' II. in St.-Denis (1131).
Soweit erkennbar, hielt sich die päpstliche Reisekurie damals für das liturgi-
sche und außerliturgische Papstzeremoniell ganz bewußt an das päpstliche Zere-
monienbuch, den Ordo Romanus. Zu den Ausführungen von Schimmelpfennig und
Herklotz über Liturgie, Zeremoniell und päpstliche Selbstdarstellung soll hier nur
eine vorläufige Anmerkung beigetragen werden: Wer wissen will, wie die päpstli-
che Tiara am Ende des 11. und im beginnenden 12. Jahrhundert ausgesehen hat,
kann eine zeitgenössische Abbildung davon in einer Bibelhandschrift aus Limoges
(St.-Martial) finden, wo Urban II. bei einer Prozession während der Weihnachtsli-
turgie 1095 die päpstliche Krone oder Tiara getragen hat79. Zeichen des kirchlichen
Primats und der Führungsautorität über die gesamte Christenheit waren für das
hochmittelalterliche Papsttum die bischöfliche Mitra, die der Papst bei liturgischen
Feiern und Handlungen trug, und die Tiara, welche der Papst bei nicht-liturgischen
Gelegenheiten und Handlungen, insbesondere bei feierlichen (imperialen) Prozes-
sionen trug. Es ist vielleicht auch wieder für die Epoche kennzeichnend, daß diese
offenbar schon seit dem Ende des 11. Jahrhunderts sich andeutende Differenzierung
ihren Abschluß bei Innozenz III. fand mit der nunmehr deutlich präzisierten Unter-
scheidung zwischen »Mitra als Symbol des päpstlichen Hohenpriestertums (signum
sacerdotii oder pontificii)« und Tiara (regnum, corona) »als Symbol seiner Herrschaft
(signum imperii)«80. Die Tiara gehört, zusammen mit anderen Symbolen und Gesten,
zu jener mit der Konstantinischen Schenkung begründeten päpstlichen imitatio im-
perii, welche dem Zisterzienserpapst Eugen III. den oft zitierten Vorwurf Bernhards
von Clairvaux eintrug: ln his successisti non Petro, sed Constantino81.
»Herrschaft«, als regnum, imperium, erscheint freilich selbst in seiner Anwen-
dung bei Innozenz III. als ein viel zu präziser, eindeutiger Begriff zur Bezeichnung
der Führungsposition des Papstes in der europäischen Christenheit des 12. Jahrhun-
derts. Indem die Päpste sich von der radikalen und übersteigerten Ideenwelt der
79 Darstellung des heiligen Hieronymus und des Papstes Damasus I. in der Hs. Paris Bibi. Nat. ms.
lat. 8,1, fol. 4 verso. - Gerhart B. Ladner, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelal-
ters, Bd. 3, Cittä del Vaticano 1984, S. 285, fig. 270. Vermutlich hielt sich der Buchmaler an das,
was er damals in Limoges selbst hatte sehen können. Auch auf das Papstzeremoniell ist dem-
nächst im 3. Band meiner Geschichte Urbans II. noch zurückzukommen.
80 Ladner, Papstbildnisse 3 (wie Anm. 79), S. 299.
81 Bernhard von Clairvaux, De consideratione lib. IV, cap. III, 6, in: Bernhard von Clairvaux, hg.
von Gerhard B. Winkler, Bd. I, Innsbruck 1990, S. 746 (Migne PL 182, Sp. 776).
Alfons Becker
hat in seinem Tagungsbeitrag über »Päpstliche Liturgie und päpstliches Zeremoni-
ell« auf diesen Prozeß aufmerksam gemacht, der im Laufe des 12. Jahrhunderts zu
einer gewissen Distanzierung der Päpste von Rom führte. Das beginnt recht deut-
lich mit Urban II., der, teils notgedrungen, teils aber auch ganz programmatisch
(z. B. während seiner Frankreichreise) außerhalb Roms päpstliche Amtsführung
und Kirchenregierung praktizierte; die Auslandsreisen, insbesondere die Frank-
reichaufenthalte seiner Nachfolger (Paschalis II., Gelasius II., Calixt II., Innozenz II.,
Eugen III., Alexander III.) mußten diese Entwicklung nur noch verstärken. Man war
im übrigen gerade dabei auch auf feierliche Selbstdarstellung des Papsttums be-
dacht, worüber wir leider nur wenige knappe, gelegentlich aber doch charakteristi-
sche Nachrichten haben, etwa über zeremoniell besonders ausgestaltete Vorgänge
während der Aufenthalte Urbans II. in Limoges (1095/96) und Tours (1096) oder
Paschalis7 II. in Tours (1107) und Innozenz' II. in St.-Denis (1131).
Soweit erkennbar, hielt sich die päpstliche Reisekurie damals für das liturgi-
sche und außerliturgische Papstzeremoniell ganz bewußt an das päpstliche Zere-
monienbuch, den Ordo Romanus. Zu den Ausführungen von Schimmelpfennig und
Herklotz über Liturgie, Zeremoniell und päpstliche Selbstdarstellung soll hier nur
eine vorläufige Anmerkung beigetragen werden: Wer wissen will, wie die päpstli-
che Tiara am Ende des 11. und im beginnenden 12. Jahrhundert ausgesehen hat,
kann eine zeitgenössische Abbildung davon in einer Bibelhandschrift aus Limoges
(St.-Martial) finden, wo Urban II. bei einer Prozession während der Weihnachtsli-
turgie 1095 die päpstliche Krone oder Tiara getragen hat79. Zeichen des kirchlichen
Primats und der Führungsautorität über die gesamte Christenheit waren für das
hochmittelalterliche Papsttum die bischöfliche Mitra, die der Papst bei liturgischen
Feiern und Handlungen trug, und die Tiara, welche der Papst bei nicht-liturgischen
Gelegenheiten und Handlungen, insbesondere bei feierlichen (imperialen) Prozes-
sionen trug. Es ist vielleicht auch wieder für die Epoche kennzeichnend, daß diese
offenbar schon seit dem Ende des 11. Jahrhunderts sich andeutende Differenzierung
ihren Abschluß bei Innozenz III. fand mit der nunmehr deutlich präzisierten Unter-
scheidung zwischen »Mitra als Symbol des päpstlichen Hohenpriestertums (signum
sacerdotii oder pontificii)« und Tiara (regnum, corona) »als Symbol seiner Herrschaft
(signum imperii)«80. Die Tiara gehört, zusammen mit anderen Symbolen und Gesten,
zu jener mit der Konstantinischen Schenkung begründeten päpstlichen imitatio im-
perii, welche dem Zisterzienserpapst Eugen III. den oft zitierten Vorwurf Bernhards
von Clairvaux eintrug: ln his successisti non Petro, sed Constantino81.
»Herrschaft«, als regnum, imperium, erscheint freilich selbst in seiner Anwen-
dung bei Innozenz III. als ein viel zu präziser, eindeutiger Begriff zur Bezeichnung
der Führungsposition des Papstes in der europäischen Christenheit des 12. Jahrhun-
derts. Indem die Päpste sich von der radikalen und übersteigerten Ideenwelt der
79 Darstellung des heiligen Hieronymus und des Papstes Damasus I. in der Hs. Paris Bibi. Nat. ms.
lat. 8,1, fol. 4 verso. - Gerhart B. Ladner, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelal-
ters, Bd. 3, Cittä del Vaticano 1984, S. 285, fig. 270. Vermutlich hielt sich der Buchmaler an das,
was er damals in Limoges selbst hatte sehen können. Auch auf das Papstzeremoniell ist dem-
nächst im 3. Band meiner Geschichte Urbans II. noch zurückzukommen.
80 Ladner, Papstbildnisse 3 (wie Anm. 79), S. 299.
81 Bernhard von Clairvaux, De consideratione lib. IV, cap. III, 6, in: Bernhard von Clairvaux, hg.
von Gerhard B. Winkler, Bd. I, Innsbruck 1990, S. 746 (Migne PL 182, Sp. 776).