38
Jürgen Dendorfer
zilsdekrete und die akklamatorische Zustimmung der Versammelten vor. Der
reibungslose Vollzug des Rituals der sessio generalis diente der Inszenierung
konziliarer Einmütigkeit über das Klein/Klein der vorausgehenden Debatten
hinweg.
In den Maitagen des Jahres 1437 jedoch konnte Kardinal Alman nicht sicher
sein, dass diese Inszenierung glückte. Schon drei Tage zuvor hatte er versucht,
eine Sessio anzusetzen. Doch gelang es seinen Widersachern, diese noch im
Münster zu einer einfachen, weitaus weniger verbindlichen congregatio gene-
ralis abzuwandeln.5 Ein Riss ging mitten durch die Basler Versammlung. Die
zahlenmäßig überlegene Seite - an ihrer Spitze stand der französische Kardinal
- wollte den schon vor Monaten gefassten Beschluss der Synode, das Konzil
in Basel, Avignon oder Savoyen zu halten, publizieren; eine andere, angeführt
von den päpstlichen Legaten, sprach sich für die Wahl eines Ortes in Italien,
Florenz oder Udine und damit für ein anderes, vom ursprünglichen Beschluss
abweichendes Dekret aus. Diese Frage spaltete die Konzilsväter; seit Monaten
lähmte sie die Versammlung; gelang nun, am 7. Mai ein Befreiungsschlag? Im
Münster selbst, das durch Bewaffnete geschützt werden musste, traf Alman
wieder auf die gegnerische Partei. Das Ringen um concordia, das die letzten
Tage und Nächte bestimmt hatte, wurde super altare, wie Johannes von Segovia
anmerkt, fortgesetzt.6 Die Stunden verstrichen; der einflussreiche Jean Maroux,
Patriarch von Antiochien,7 mahnte, nicht die ganze Zeit durch Diskussionen
aufzubrauchen; mit der Messe zum Heiligen Geist begann das Zeremoniell der
sessio generalis.8 Als nach dem Ende der Messe ein Bischof den Ambo bestieg,
um das vorbereitete Dekret der Mehrheit, das sich für Basel oder Avignon aus-
sprach, zu verlesen, erhoben sich die Prälaten nicht wie gewöhnlich, sondern
blieben sitzen und unterbrachen damit den Ablauf.9 Noch einmal wurde zwei
Stunden erörtert, ob ein modus concordie zu finden sei; als keine Einigung ab-
zusehen war, setzten die Sänger aufs Neue mit den cerimonialia sessionis ein.
Wiederum bestieg der erwähnte Bischof den Ambo, um das decretum multi-
tudinis zu verkünden. Nun geschah Unerhörtes, ein weiterer Bischof erhob
sich, positionierte sich auf einem Schemel und begann, abgeschirmt von jun-
sel, in: Lectiones Eruditorum Extraneorum in Facultate Philosophica Universitatis Carolinae
Pragensis factae, Fasciculus 2, Prag 1993, S. 7-26, hier S. 9-11.
5 Segovia, Historia gestorum (wie Anm. 1), lib. 11, c. 8, S. 963-965, hier S. 965.
6 Ebd., c. 9, S. 965: Cardinales sancti Petri et Arelatensis per tres vices diu in colloquio extiterunt super
altare, sed neque concordari potuit; cum vero ageretur ut alii simul cum eis essent, pars multitudinis
admittere noluit Johannem de Polomar unum esse ex Ulis, sed duos dumtaxat Lubicensem decanum et
archidyaconum Metensem.
7 Heribert Müller, Die Franzosen, Frankreich und das Basler Konzil (1431-1449) (Konzilienge-
schichte B, Untersuchungen), Paderborn u. a. 1990, S. 543-572, hier S. 571 f. zu seiner Position
in der Diskussion um die Ortswahl.
8 Segovia, Historia gestorum (wie Anm. 1), lib. 11, c. 9, S. 965: Super hiis autem tractatibus iam
currente Xlla hora patriarcha Antiochenus, qui ante finem misse in cathedra sederat, anxie requirebat
non amplius terendum in verbis tempus.
9 Ebd.: Missa igitur finita Albinganensis episcopus ambonem ascendit lecturus decretum, sed adhuc
prelatis sedentibus in apparamentis per duas horas iterum pertractatum est, si inveniri posset modus
concordie, silencio imposito cantoribus cerimonalia sessionis incipientibus decantare.
Jürgen Dendorfer
zilsdekrete und die akklamatorische Zustimmung der Versammelten vor. Der
reibungslose Vollzug des Rituals der sessio generalis diente der Inszenierung
konziliarer Einmütigkeit über das Klein/Klein der vorausgehenden Debatten
hinweg.
In den Maitagen des Jahres 1437 jedoch konnte Kardinal Alman nicht sicher
sein, dass diese Inszenierung glückte. Schon drei Tage zuvor hatte er versucht,
eine Sessio anzusetzen. Doch gelang es seinen Widersachern, diese noch im
Münster zu einer einfachen, weitaus weniger verbindlichen congregatio gene-
ralis abzuwandeln.5 Ein Riss ging mitten durch die Basler Versammlung. Die
zahlenmäßig überlegene Seite - an ihrer Spitze stand der französische Kardinal
- wollte den schon vor Monaten gefassten Beschluss der Synode, das Konzil
in Basel, Avignon oder Savoyen zu halten, publizieren; eine andere, angeführt
von den päpstlichen Legaten, sprach sich für die Wahl eines Ortes in Italien,
Florenz oder Udine und damit für ein anderes, vom ursprünglichen Beschluss
abweichendes Dekret aus. Diese Frage spaltete die Konzilsväter; seit Monaten
lähmte sie die Versammlung; gelang nun, am 7. Mai ein Befreiungsschlag? Im
Münster selbst, das durch Bewaffnete geschützt werden musste, traf Alman
wieder auf die gegnerische Partei. Das Ringen um concordia, das die letzten
Tage und Nächte bestimmt hatte, wurde super altare, wie Johannes von Segovia
anmerkt, fortgesetzt.6 Die Stunden verstrichen; der einflussreiche Jean Maroux,
Patriarch von Antiochien,7 mahnte, nicht die ganze Zeit durch Diskussionen
aufzubrauchen; mit der Messe zum Heiligen Geist begann das Zeremoniell der
sessio generalis.8 Als nach dem Ende der Messe ein Bischof den Ambo bestieg,
um das vorbereitete Dekret der Mehrheit, das sich für Basel oder Avignon aus-
sprach, zu verlesen, erhoben sich die Prälaten nicht wie gewöhnlich, sondern
blieben sitzen und unterbrachen damit den Ablauf.9 Noch einmal wurde zwei
Stunden erörtert, ob ein modus concordie zu finden sei; als keine Einigung ab-
zusehen war, setzten die Sänger aufs Neue mit den cerimonialia sessionis ein.
Wiederum bestieg der erwähnte Bischof den Ambo, um das decretum multi-
tudinis zu verkünden. Nun geschah Unerhörtes, ein weiterer Bischof erhob
sich, positionierte sich auf einem Schemel und begann, abgeschirmt von jun-
sel, in: Lectiones Eruditorum Extraneorum in Facultate Philosophica Universitatis Carolinae
Pragensis factae, Fasciculus 2, Prag 1993, S. 7-26, hier S. 9-11.
5 Segovia, Historia gestorum (wie Anm. 1), lib. 11, c. 8, S. 963-965, hier S. 965.
6 Ebd., c. 9, S. 965: Cardinales sancti Petri et Arelatensis per tres vices diu in colloquio extiterunt super
altare, sed neque concordari potuit; cum vero ageretur ut alii simul cum eis essent, pars multitudinis
admittere noluit Johannem de Polomar unum esse ex Ulis, sed duos dumtaxat Lubicensem decanum et
archidyaconum Metensem.
7 Heribert Müller, Die Franzosen, Frankreich und das Basler Konzil (1431-1449) (Konzilienge-
schichte B, Untersuchungen), Paderborn u. a. 1990, S. 543-572, hier S. 571 f. zu seiner Position
in der Diskussion um die Ortswahl.
8 Segovia, Historia gestorum (wie Anm. 1), lib. 11, c. 9, S. 965: Super hiis autem tractatibus iam
currente Xlla hora patriarcha Antiochenus, qui ante finem misse in cathedra sederat, anxie requirebat
non amplius terendum in verbis tempus.
9 Ebd.: Missa igitur finita Albinganensis episcopus ambonem ascendit lecturus decretum, sed adhuc
prelatis sedentibus in apparamentis per duas horas iterum pertractatum est, si inveniri posset modus
concordie, silencio imposito cantoribus cerimonalia sessionis incipientibus decantare.