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Peltzer, Jörg [Bearb.]; Schwedler, Gerald [Bearb.]; Töbelmann, Paul [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

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Feuchter, Jörg,: Deliberation, rituelle Persuasion und symbolische Repräsentation. Zugänge zur Redekultur auf vormodernen französischen Generalständen
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https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0208

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Jörg Feuchter

Deliberation, rituelle Persuasion und
symbolische Repräsentation. Zugänge
zur Redekultur auf vormodernen
französischen Generalständen

Am 1. August 1314 versammelte Philipp der Schöne zum letzten Mal in seinem
Leben die französischen Generalstände. Auf der Zusammenkunft im Pariser
Königspalast redete der >Gouverneur< des Königreiches, Enguerrand de Ma-
rigny, der als rhetorisches Talent galt.1 Enguerrand sprach stehend, von einem
Podest aus, auf dem sich auch der König, die Adligen und die Geistlichen be-
fanden. Sein Thema lautete »De nature et de nourreture«. Der Orator bezog dies
auf Paris als den Ort, von dem die Könige von Frankreich seit alters her und
gemäß ihrer »Natur« ihre »Nahrung« bezögen.2 Dann kam er auf den Anlass
der Versammlung zu sprechen, die Auseinandersetzung mit Flandern, über
das Frankreich einen historischen Herrschaftsanspruch habe. Die Rede gipfelte
in der Frage, welche der anwesenden Stadtbürger den König bei seinem flämi-
schen Krieg unterstützen würden. Während Enguerrand fragte, erhob sich der
König von seinem Sitz, »um die zu sehen, die ihm Hilfe leisten wollten«.3 Es
überrascht nicht, dass sich die Städtevertreter dem Eindruck solch unmißver-
ständlicher rhetorischer und performativer Persuasion nicht entziehen konn-
ten. Zunächst sagte der Pariser Prevöt des marchands, Etienne Barbette,4 dann

1 Der Reimchronist Geoffroy de Paris legt Papst Clemens V. folgendes direkt an Enguerrand ge-
richtete, zwiespältige und für die Haltung zur Rhetorik durch alle Zeiten typische Lob in den
Mund: »Tu es de touz plus biau parlierres/ Et le tres sages conseillierres,/ Mes de ce douter me
couvient/ Se de Dieu ou d'autre te vient«, Ärmel Diverres, La chronique metrique attribuee
ä Geoffroy de Paris. Texte publie avec introduction et glossaire (Publications de la faculte des
lettres de l'universite de Strasbourg 129), Paris 1956, S. 197, vv. 5595-5598. Zur Person des
Enguerrand de Marigny vgl. Jean Favier, Un conseiller de Philippe le Bel: Enguerran de Mari-
gny (Memoires et documents publies par la Societe de l'Ecole des Chartes 16), Paris 1963, zur
Rednergabe S. 17, mit einem weiteren Quellenbeleg.
2 Les Grandes Chroniques de France. Band 8: Philippe III. le Hardi, Philippe IV le Bel, Louis
X. Hutin, Philippe V le Long, hg. von Jules Viard, Paris 1934, S. 299-301. Enguerrand wich
von der üblichen Opposition von »nature« und »nourreture« als »Natur« und »Erziehung«
ab, wie er etwa im mittelalterlichen Sprichwort »Nature passe nourreture« zum Ausdruck
kommt.
3 Ebd., S. 300.
4 Vgl. zu ihm Robert-Henri Bautier, Art. >Barbette, Etienne II<, in: LMA 1, Stuttgart 1977,
Sp. 1441 f.
 
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