Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Peltzer, Jörg [Bearb.]; Schwedler, Gerald [Bearb.]; Töbelmann, Paul [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

DOI Artikel:
Krischer, André,: Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit. Das Beispiel der Städtekurie und ihres politischen Verfahrens
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0183

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
182

Andre Krischer

ein komplexes Geschehen aus festlichen Einzügen, Gottesdiensten, Turnieren
und bisweilen sogar Hochzeits- und Begräbnisfeierlichkeiten. Das Verfahren
der Willensbildung im engeren Sinne bildete dabei nur ein Element - freilich
ein zentrales - von vielen des Ereignisses Reichstag. Doch erst innerhalb des
Gefüges symbolischer Praktiken erhielt das Entscheidungsverfahren Sinn und
Bedeutung, z. B. indem sein Anfang und sein Ende mit Zeremoniell demonstra-
tiv markiert, ein bestimmter Ort als sozialer Raum der Entscheidung herausge-
stellt und bestimmte Personen als entscheidend ausgezeichnet wurden - und
das Verfahren auf diese symbolisch-expressive Weise von anderen Formen po-
litischer Kommunikation (Belehnungen, Beratungen von Bündnismitgliedern
usf.) abgegrenzt wurde.3
Vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisstands fragt das Programm dieses
Sammelbands pointiert nach Ritualisierung und Zeichenhaftigkeit bei der po-
litischen Willensbildung am Beispiel von Versammlungen in der Vormoderne.
Dies impliziert, dass Willensbildung als Prozess und Verfahren verstanden
wird und dass der Ablauf, die Dynamik dieses Prozesses als erklärungsbedürf-
tig angesehen wird. Das mit diesem Programm verbundene Begriffspaar Po-
litik und Ritual/Zeichen/Symbol ruft in der historischen Forschung allerdings
immer noch zwei nicht unproblematische Auffassungen hervor, nämlich dass
es neben dem »eigentlichen«, »konkreten« Entscheidungsprozess »an sich« im-
mer auch politische Rituale, Symbole und Zeichen gibt, die es auch zu erfor-
schen, zu beachten, aber nicht überzubewerten gilt,4 und dass Politik als Ritual
in Erscheinung trat und tritt, als politisches Spektakel konstruiert wird und die
eigentlichen Entscheidungsprozesse letztlich verschleiert werden oder ganz
woanders stattfinden.5

symbolischen Handelns. Die Investitur mit den Reichslehen in der Frühen Neuzeit, in: Kai-
serhof und Reich, hg. von Grete Klingenstein (vorauss. Wien 2009); Barbara Stollberg-
Rilinger, Herstellung und Darstellung politischer Einheit. Instrumentelle und symbolische
Dimensionen politischer Repräsentation im 18. Jahrhundert, in: Die Sinnlichkeit der Macht.
Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, hg. von Jan Andres/Alexa Geist-
hövel/Matthias Schwengelbeck (Historische Politikforschung 5), Frankfurt a. M./New York
2005, S. 73-92.
3 Vgl. dazu Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Vormoderne politische Verfahren,
September 1999, hg. von Barbara Stollberg-Rilinger (ZHF Beiheft 25), Berlin 2001, S. 9-24;
am Beispiel des Reichstags: Michael Sikora, Formen des Politischen. Der frühmoderne deut-
sche Reichstag in systemtheoretischer Perspektive, in: Geschichte und Systemtheorie, hg. von
Frank Becker, Frankfurt a. M. 2004, S. 157-184.
4 Prominent zuletzt Andreas Rödder, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturge-
schichte der Politik der Moderne, in: HZ 283/3, 2006, S. 657-688; am Beispiel des Reichstags
etwa Rosemarie Aulinger, Das Bild des Reichstags im 16. Jahrhundert. Beiträge zu einer Ty-
pologie schriftlicher und bildlicher Quellen, Göttingen 1980; Barbara Stollberg-Rilinger,
Die Symbolik der Reichstage. Überlegungen zu einer Perspektivenumkehr, in: Der Reichstag
1486-1613: Kommunikation - Wahrnehmung - Öffentlichkeiten, hg. von Maximilian Lan-
zinner/Arno Strohmeyer (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften 73), Göttingen 2006, S. 313-341.
5 Prominentester Vertreter dieser Richtung ist Murray Edelmann, The Symbolic Uses of Politics,
Urbana/Chicago 1964; Murray Edelmann, Constructing the Political Spectacle, Chicago/Lon-
 
Annotationen