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Peltzer, Jörg [Oth.]; Schwedler, Gerald [Oth.]; Töbelmann, Paul [Oth.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

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Weinfurter, Stefan,: Versammlungen und politische Willensbildung zwischen Inszenierung und Ritual. Zusammenfassende Überlegungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0275

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274

Stefan Weinfurter

Tagungsdiskussion - erneut die Gelegenheit zu verdeutlichen, wie der Begriff
»Ritualdynamik« im Rahmen des Heidelberger Sonderforschungsbereichs 619
verstanden wird:3 Er soll sagen, dass Rituale grundsätzlich niemals fest und un-
veränderlich sind, sondern schon jede Wiederholung eine Änderung mit sich
bringt, dass mit Ritualen immer wieder veränderte Zielsetzungen verbunden
sind und dass Rituale damit ihrerseits Verhältnisse oder Ordnungen ändern.
So muss man von einem ständigen Wechselspiel zwischen Ordnungskonfigu-
rationen und den mit ihnen verbundenen Wertevorstellungen einerseits und
ihrer rituellen Inszenierung und Umsetzung andererseits ausgehen. Nach die-
sem Verständnis rücken Rituale ganz nahe an Inszenierung oder symbolische
Kommunikation heran, ohne freilich völlig damit deckungsgleich zu sein. Ein
Ritual benötigt zumindest in der Regel eine Inszenierung, und in diesem Sinne
sind beide eng aufeinander bezogen.4
Demzufolge wird der Ritualbegriff auch in diesem Tagungsband nicht eng,
sondern weit gefasst, und noch wichtiger: Er zielt auf die ständige Veränderung.
Dabei wird keineswegs übersehen, dass Rituale auch, und zwar in ganz unter-
schiedlicher Intensität, die imaginäre oder reale Kraft der Verstetigung in sich
tragen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf gesellschaftliche und politische
Ordnungssysteme.5 Sie werden symbolisch-rituell als Ordnungswirklichkeiten
abgebildet und sollen durch die Wiederholung der Abbildung verstetigt wer-
den. Alle diese Funktionen und Wirkenszusammenhänge spielen eine Rolle,
wenn wir uns mit den Versammlungen, ihren Ritualen und ihrer Bedeutung
für die gesellschaftliche und politische Ordnung beschäftigen.
Einen Schwerpunkt dieses Bandes bilden die herrscherlichen Hof- und
Reichstage6 sowie die Kirchensynoden insbesondere der Päpste, die in diesem
Band einen großen Raum einnehmen. In einer Reihe von Beiträgen geht es da-
rum, deutlich zu machen, wie diese Versammlungen von Fürsten bzw. von Bi-
schöfen sich gewissermaßen selbst ordneten. Sie erzeugten in ihrer Ordnung
und in deren Wahrnehmung ein Abbild der politischen Ordnung. Daher wur-
de größter Wert auf die Darstellung des jeweiligen Rangs der Teilnehmer ge-

3 Axel Michaels, »Le rituel pour le rituel« oder wie sinnlos sind Rituale?, in: Rituale heute:
Theorien - Kontroversen - Entwürfe, hg. von Corinna Caduff/Joanna Pfaff-Czarnecka,
Berlin 1999, S. 23-47; Axel Michaels, Zur Dynamik von Ritualkomplexen (Forum Ritualdy-
namik 3), Heidelberg 2003, URL: http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/4583 (zuletzt be-
sucht: 4. Mai 2009); Dietrich Harth, Handlungstheoretische Aspekte der Ritualdynamik, in:
Ritualdynamik. Kulturübergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns,
hg. von Dietrich Harth/Gerrit Jasper Schenk, Heidelberg 2004, S. 95-117.
4 Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe -
Thesen - Forschungsperspektiven, in: ZHF 31, 2004, S. 489-527; Gerd Althoff, Demonstra-
tion und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit, in:
FMSt 27,1993, S. 27-50; Gerd Althoff, Der König weint. Rituelle Tränen in öffentlicher Kom-
munikation, in: Aufführung und Schrift in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Jan-Dirk
Müller (Germanistische Symposien. Berichtsbände XVII), Stuttgart/Weimar 1996, S. 239-252.
5 Geoffrey Koziol, Begging Pardon and Favor. Ritual and Political Order in Early Medieval
France, Ithaca/London 1992.
6 Vgl. Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter Mo-
raw (Vorträge und Forschungen 48), Stuttgart 2002.
 
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