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I. Der bestattete Leichnam

„But if the cause be not good, the king himself hath a
heavy reckoning to make; when all those legs and arms
and heads, chopped off in a battle, shall join together at
the latter day, and cry all, ,We died at such a place'; some
swearing, some crying for a surgeon, some upon their
wives left poor behind them, some upon the debts they
owe, some upon their children rawly left."
Shakespeare, Henry V. 132-135 [4,1]
Mit diesen Worten lässt Shakespeare den einfachen englischen Soldaten Michael Wil-
liams seine Vorstellungen vom Jüngsten Tag vor der Schlacht von Agincourt ausdrü-
cken. Demnach werden an jenem Tage ganz wörtlich die Körper der in der Schlacht Ge-
fallenen auferstehen, ihre Teile werden sich vereinen und sich in einem schrecklichen
Inferno die Schreie der Sterbenden wiederholen, die nun ihre Anklage erheben. Shake-
speare folgt hier einer mittelalterlichen Tradition; im Palästinalied Walthers von der Vo-
gelweide heißt es etwa über Gott: „In diz lant hat er gesprochen / einen angeslichen tac, /
da die witwe wirt gerochen / und der weise clagen mac / Und der arme den gewalt, / der
da wirt an im gestalt".1 Auch hier wird ganz wörtlich das Motiv der Klagen der in ihrem
Körper auferstandenen Toten aufgegriffen. Die Verstorbenen suchen für die ihnen wi-
derfahrenen Ungerechtigkeiten Genugtuung, und ihre Leichen werden einst sehr kon-
kret auferstehen. Doch das Christentum hatte keine ganz einheitliche Position in Bezug
auf die Rolle des Körpers nach dem Tod.

1. Der Leichnam und die Auferstehung
„Zurückerstattet wird also alles", schreibt der einflussreiche Kirchenvater Augustinus
im frühen 5. Jahrhundert, „was der Körper zu Lebzeiten oder der Leichnam nach dem
Tod verlor, und zusammen mit dem, was im Grab verbleibt, wird es in einem neuen
geistigen Körper aus dem alten seelischen Leib auferstehen und mit Unverweslichkeit
und Unsterblichkeit bekleidet sein. Selbst wenn irgendein Unglück oder feindliche
Rohheit das Ganze vollständig zu Staub zerrieb und es auf welche Weise auch immer

Walther von der Vogelweide, Leich 27 [1,7,9]. Der Vers endet: „wol im dort, der hie vergalt";
dieser letzte Satz bezieht sich auf den Kreuzfahrer, der durch seine Teilnahme am Kreuzzug
Vergebung für sein sündiges Verhalten erfahren wird, was ihm am Jüngsten Tag zugute käme.
 
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