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Schlusswort

„Firewood becomes ash, and does not become firewood
again. [...] Birth is a condition complete in this moment.
Death is a condition complete in this moment. They are
like winter and spring. You do not call winter the be-
ginning of spring, nor summer the end of spring."
Dogen, Shobo Genzo i, 30-31
Kompromisslos blickt der japanische Zenmeister Dogen in diesen im Jahr 1233 verfass-
ten Zeilen auf die Momenthaftigkeit allen Daseins. Er eröffnet damit am anderen Ende
der Welt des Mittelalters eine Perspektive, die der christlichen Sicht des Westens dia-
metral gegenübersteht: Jedes Lebewesen transformiere sich mit dem Tod und kehre in
den vorigen Zustand nicht mehr zurück. Ein ganz anderes Bild zeichnete diese Studie
von der Mentalität der meisten europäischen Zeitgenossen Dogens: Sie waren von einer
Kontinuität des Individuums überzeugt, dessen Leben in den großen Lauf der Heils-
geschichte eingeschrieben war. In diesem Sinn kam dem Leichnam als Teil der Person
auch nach dem Tod eine wichtige Rolle zu, denn am Jüngsten Tag würden sich Körper
und Seele wieder vereinen und einen neuen, jedoch auf dem vorherigen Zustand wäh-
rend des individuellen Lebens basierenden Zusammenschluss bilden.
Der Leichnam erweist sich dabei als gesellschaftliches Konstrukt, das erst in sei-
nem kulturellen Handlungsrahmen verständlich wird; seine konkrete Dinglichkeit
stellt keine objektive Definition des Toten her, sondern bietet nur die körperliche Vor-
gabe für kulturelle Zuschreibungen, die ihn von einer toten, rechtlosen Sache bis zur
handelnden, lebenden Person transformieren können. Im christlichen Mittelalter denkt
man den Leichnam weitgehend lebendig, was sich durch seine Rolle im Interim und die
enge Beziehung zwischen Körper und Seele erklärt (Kap. I). Insbesondere die Heiligkeit
wird über den Leichnam konstruiert, und der tote Körper dient hier dem Ausweis der
Heiligkeit, indem er als Reliquie Wunder wirkt und als „corpus incorruptum" beson-
dere Körperreaktionen als Zeichen seiner Lebendigkeit aufweist (Kap. II).
Dies stellt eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von geeigneten Ein-
balsamierungsmethoden dar, die mehr oder weniger absichtlich die Chancen auf einen
Erhalt der heiligen, herrschaftsrelevanten oder das Prestige auf andere Weise steigern-
den Toten erhöhten (Kap. IV). So entstand ein Ansporn für den Erhalt der Leiche, die
man im Mittelalter in antiker Tradition den besonderen Toten, die sich in der Gesell-
schaft durch Heiligkeit oder soziale Stellung ausgezeichnet hatten, angedeihen ließ.
Dabei entwickelten sich die Einbalsamierungmethoden parallel zum Umgang mit den
Reliquien weiter. Mit der zunehmenden Akzeptanz der Fragmentierung der Leichen
Heiliger im Laufe des Frühmittelalters und bei dem zeitgleichen Problem, in wieder
größer werdenden Handlungsräumen wie dem fränkisch-karolingischen Reich die Lei-
chen hoher Würdenträger über weite Strecken an prestigereiche Bestattungsorte trans-
portieren zu wollen, entwickelten sich Einbalsamierungsmethoden, die nun - anders
 
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