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III. Einbalsamierung und Leichenerhaltung

„Car bien ä peine s'est il trouue nation tant barbare fust
eile, qui n'ait eu soing d'embaumer les corps, non pas
mesme les Scythes qui semblent en barbarie auoir sur-
passe le reste des hommes."
Pare, Embaumer les corps morts 1102
Der Heilige konnte sich also durch den Wohlgeruch und die Erhaltung seiner Leiche
auszeichnen; entsprechend musste jede Behandlung des Leichnams, die diesen Zu-
stand herstellte (oder doch zumindest verlängerte), wünschenswert erscheinen, da sie
den Toten den äußeren Merkmalen des Heiligen annäherte. So verwundert es nicht,
dass sich die soziale Oberschicht der mittelalterlichen Gesellschaft an diesem hagiogra-
phischen Ideal orientierte. Der folgende Blick auf die Einbalsamierungsmaßnahmen,
die man im Mittelalter ergriff, zeigt dabei, dass die Leichen von Personen, die im Ruch
der Heiligkeit standen, ebenso wie jene der weltlichen und geistlichen Elite der Epoche
in gleicher Weise zum Gegenstand solcher Behandlungen werden konnten. Damit tritt
zugleich die Frage in den Vordergrund, wie man überhaupt ein - in der Terminologie
von Peter Brown gesprochen - „ganz besonderer Toter"1 werden konnte. Gibt es einen
Zusammenhang zwischen Einbalsamierung und „corpus incorruptum", balsamierte
man also gerade deshalb ein, weil das (potentielle) Ergebnis der Prozedur die göttliche
Gnade im Urteil der Nachwelt über den Toten belegbar machen konnte?
Freilich konnte die Einbalsamierung auch mit praktischen Gründen gerechtfertigt
werden: Für den Leichentransport und die Aufbahrung des Toten war eine solche Be-
handlung jedenfalls wünschenswert2. Dabei nahmen die mittelalterlichen Akteure aber
den Nebeneffekt zumindest gerne in Kauf, dass solche Leichen zugleich leichter identi-
fizierbar waren und bei einer Graböffnung mit höherer Wahrscheinlichkeit mit den Zei-
chen göttlicher Gnade in Form des Wohlgeruchs und/oder der verzögerten Verwesung
aufgefunden wurden. Bisher hat die Forschung diesen Zusammenhang jedoch noch
kaum in den Blick genommen, da sie die Entwicklung der Einbalsamierung nicht sys-
tematisch nachzeichnete3. So stellte Luigi Canetti die spätantik-frühmittelalterliche, auf
den patristischen Aussagen fußende Ablehnung der Sektion der spätmittelalterlichen

Brown benannte das vierte Kapitel seiner einschlägigen Studie über den Heiligenkult in der
lateinischen Christenheit „The Very Special Dead"; Brown, Cult 69. Vgl. etwa die Verweise auf
diese Formulierung bei Vauchez, Introduction 4; Olariu, Reflexions 95 oder Binski, Death 12.
Einen kurzen Überblick zum Leichentransport im Mittelalter bietet Sörries, Kiste 29-46, der
hier vor allem auf die Tragegerätschaft (Bahre, Sarg) fokussiert.
Vgl. etwa jüngst die Zusammenfassungen bei Weiss-Krejci, Excarnation, und McCleery, Medi-
cal Perspectives 287-289, die zugleich eine stärkere Beschäftigung mit solchen interdisziplinä-
ren Fragestellungen fordert.
 
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