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VIII. Leichenvernichtung und Leichenschändung

hauptet, Gottfried verstarb zu Paris „in einem militärischen Konflikt, von den Pferde-
hufen zerdrückt" („in conflictu militari pedibus equinis contritus")232. Doch was war
dieser „militärische Konflikt"? Bedenkt man, dass die neuere Forschung Roger von
Howden auch die „Gesta regis Henrici secundi" zuschreibt, ließe sich diese Formulie-
rung als eine entschärfte, gezielt verschleiernde Version seines eigenen Textes deuten,
der zunächst noch den Turniertod ausdrücklich genannt hatte und diesen sogar als
„kläglichen Tod" („obitus miserabilis") qualifizierte. In diesem Licht erscheint es wahr-
scheinlich, dass Rigord gerade deshalb von einer (im übrigen völlig unspezifizierten)
Krankheit als Todesursache Gottfrieds spricht, um dem kirchenrechtlichen Vorwurf
eines moralisch verwerflichen Todes im Turnier zu begegnen. Wenn dieser Schluss
stimmt, so hatte das hohe Prestige des Toten als Sohn des englischen und als Freund
des französischen Königs die Umsetzung der kanonischen Vorgaben verhindert - mit
Notre-Dame wurde Gottfried trotz seines Turniertodes in der vornehmsten Kirche von
Paris bestattet.
Handelt es sich bei dem so aus dem Widerspruch, dem Schweigen und den Un-
genauigkeiten der Quellen erschlossenen Szenario um eine Ausnahme? Tatsächlich
wurde der Ausschluss von der Bestattung für im Turnier Gefallene in anderen Fällen
umgesetzt; so teilte etwa Papst Alexander III. in einem Schreiben an den Erzbischof von
Reims diesem mit, er verweigere trotz der Bitten von Königen, Fürsten und Baronen
des Landes ein kirchliches Begräbnis für einen so Verstorbenen233. Die Reaktion Alexan-
ders III. belegt damit jedoch zugleich, welcher soziale Druck entstand, wenn man eine
kirchliche Bestattung verweigerte: Turnierteilnehmer gehörten schließlich zum Adel
und hatten fast immer wichtige Fürsprecher unter ihren Verwandten und Freunden.
Dieser Nachdruck führte - ähnlich wie bei der Exkommunikation - zumeist zur Ig-
norierung oder späteren Aufhebung des Urteils; und da von vorneherein das Ziel der
Strafe die Abschaffung des Turniers und weniger der dauerhafte Ausschluss des Indivi-
duums war, scheinen die Aus- und Rücknahmen hier auch noch zahlreicher als bei der
Exkommunikation gewesen zu sein. Ebenfalls im selben Zeitrahmen machte ein päpst-
licher Dispens Alexanders die Entscheidung Erzbischof Wichmanns von Magdeburg
rückgängig, dem Leichnam des 1175 bei einem Turnier verstorbenen Grafen Konrad
die Bestattung zu verweigern234. Ein anderer Graf, Floris IV. von Holland, soll nach den
Gesta der Abte des Klosters Mariengaarde 1234 nicht bestattet worden sein; doch sein
Leichnam wird nach Quellen des 14. Jahrhunderts später ins Kloster Rijnsburg trans-
amplecteretur, fecit condiri aromatibus, et in choro Beate Marie Parisiis corpus ejus honorifice
tumulari, et in signum dilectionis quatuor prebendas sacerdotales perpetuas in ecclesia Pari-
siaca de bonis propriis instituit, ad usum quatuor sacerdotum qui ibidem perpetuo pro defunc-
tis debeant celebrare." Wilhelm der Bretone, Gesta 185. „Paucis vero post annis elapsis, comes
quoque Gaufridus, miles egregius et eloquens, tarn Ulixis heres quam Achillis, a patre et in
patrem jam tertio recedens, desuper ultrice lata sententia, Parisius circa kalendas Augusti rebus
humanis exemptus est." Giraldus Cambrensis, Expugnatio 357. Und, mit etwas größerem zeitli-
chen Abstand in der Mitte des 13. Jahrhunderts, auch im Chronicon des Alberich von Troisfon-
taines: „Eodem anno in civitate Parisius mortuus est 14. Kalendas Septembris Gaufridus nobilis
dux Britannie comes Richemontis, filius Henrici regis Anglie natu tertius, quem cum Philippus
rex Magnanimus dilectione amplecteretur, fecit condiri aromatibus et in choro beate Marie Pa-
risius honorfice corpus tumulari, et in signum dilectionis quatuor prebendas sacerdotales in
ecclesia Parisiaca de bonis propriis iustituit, ad usum quatuor sacerdotum, qui ibidem perpetuo
pro defunctis debent celebrare." Alberich von Trois-Fontaines, Chronica 859.
232 Roger von Howden, Chronica 309.
233 „nullum hujusmodi precibus assensum praebuimus, ne prava illa consuetudo ex hoc incremen-
tum posset recipere"; Mansi, Collectio 21,1074. Vgl. Krüger, Turnierverbot 417.
234 Chronicon Montis Sereni 155-156. Vgl. Krüger, Turnier verbot 417.
 
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