Studien und Forschungen
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ders als der große Florentiner ist es, der in ein
dunkelbraunes Gewand gehüllt vor der Staffelei
sitzend den Pinsel in der erhobenen Rechten,
die Palette in der Linken uns entgegenblickt.
Diese eigenartige Huldigung galt wohl mehr
Michelangelo, dem größten aller Künstler, als
dem bedeutendsten aller Maler, denn Ribalta,
der sich für seine Schöpfungen mannigfache
Anregungen bei Raffael, Sebastian und Correg-
gio geholt hat, ist zeit seines Lebens den ge-
fährlichen Pfaden der Michelangelonachahmer
fern geblieben. August L Mayer.
DÜRERS HIEROGLYPHEN IM GEBET-
□ BUCH KAISER MAXIMILIANS □
In der Sitzung der Berliner kunstgeschicht-
lichen Gesellschaft vom 8. Mai hielt Herr Giehlow
— der bekanntlich vor kurzem die glänzende
Faksimile-Reproduktion des Gebetbuches Maxi-
milians ediert hat — einen Vortrag über die
Quellen zu den phantastischen Randglossen
Dürers für dieses Gebetbuch. Keineswegs seien
die Zeichnungen ein gegenstandloses Produkt
reiner Phantasie; vielmehr liege ihnen teilweise
nach der grüblerischen Weise der Zeit und na-
mentlich auch Dürers und des Kaisers Maximilian
selber ein symbolischer Sinn zugrunde, der aus
der Wissenschaft der Hieroglyphik geschöpft
sei. Mit den seltsamen Zeichen ägyptischer Mo-
numente hätten sich vor allem die italienischen
Humanisten beschäftigt, voran Nanni di Viterbo
und Francesco Colonna, von welchem die Hyp-
nerotomachia des Polifilo verfaßt ist, ein Buch
voll von Hieroglyphen und deren Deutungen,
wie man sie verstand. Von ihnen übernahm
Erasmus von Rotterdam den Eifer für die neu
entdeckte Wissenschaft; Willibald Pirckheimer
wie Maximilian und dessen Humanistenkreis
besaßen das lebhafteste Interesse für sie. Schon
der Entwurf Dürers für die Ehrenpforte lehnte
sich ganz an die Hieroglyphika des Horapollon
an; der Kaiser sitzt inmitten der verschieden-
artigsten Bildzeichen, die seine Tugenden, nach
dem Horapollon, darstellen sollen. So bedeutet
z. B. der Stier die Tugend des Maßhaltens
u. dgl. Und in den zoologischen Motiven der
Randzeichnungen im Gebetbuch findet Giehlow
aufs handgreifslidiste die Hieroglyphen dreier
in jener Wissenschaft berühmter Bücher wieder:
der Hypnerotomachie, des Horapollon und der
Antiquitates des Nanni di Viterbo.
Diese Untersuchungen, über welche demnächst
eine Arbeit erscheinen wird, beweisen nachdrück-
lich wieder einmal den innigen Zusammenhang
von Kunst und Ideen einer Zeit, und daß eine
kräftige Kunstepoche so äußerst trockene und
banale Anregungen verarbeiten kann, wie die
spitzfindigen Hieroglyphendeutungen der Huma-
nisten. Oder wäre das Verdienst Dürers wirk-
lich größer, wenn er den ornamentalen Reichtum
des Gebetbuches lediglich aus der Fülle seiner
Phantasie geschöpft hätte? Es gibt vielleicht
Leute, welche es ihm verübeln, daß er sich
einen tifteligen Stoff von den Gelehrten seiner
Zeit vorschreiben ließ, und welche sich mit
Empfindlichkeit von der Tatsache abwenden,
daß auch er ganz unverhohlen andere Künst-
ler abgezeichnet hat (wie den Putto mit dem
Lorbeerkranz in einer der Randzeichnungen,
dessen Urbild Giehlow nachweist in einer Miniatur
in dem Druck der Sforzada, Mailand 1490, jetzt
im British Museum). Aber die Kunstgeschichte
lehrt uns immer von neuem, daß großer
Künstler sein nicht heißt, immer und um jeden
Preis etwas Niedagewesenes schaffen zu wollen.
S.
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ders als der große Florentiner ist es, der in ein
dunkelbraunes Gewand gehüllt vor der Staffelei
sitzend den Pinsel in der erhobenen Rechten,
die Palette in der Linken uns entgegenblickt.
Diese eigenartige Huldigung galt wohl mehr
Michelangelo, dem größten aller Künstler, als
dem bedeutendsten aller Maler, denn Ribalta,
der sich für seine Schöpfungen mannigfache
Anregungen bei Raffael, Sebastian und Correg-
gio geholt hat, ist zeit seines Lebens den ge-
fährlichen Pfaden der Michelangelonachahmer
fern geblieben. August L Mayer.
DÜRERS HIEROGLYPHEN IM GEBET-
□ BUCH KAISER MAXIMILIANS □
In der Sitzung der Berliner kunstgeschicht-
lichen Gesellschaft vom 8. Mai hielt Herr Giehlow
— der bekanntlich vor kurzem die glänzende
Faksimile-Reproduktion des Gebetbuches Maxi-
milians ediert hat — einen Vortrag über die
Quellen zu den phantastischen Randglossen
Dürers für dieses Gebetbuch. Keineswegs seien
die Zeichnungen ein gegenstandloses Produkt
reiner Phantasie; vielmehr liege ihnen teilweise
nach der grüblerischen Weise der Zeit und na-
mentlich auch Dürers und des Kaisers Maximilian
selber ein symbolischer Sinn zugrunde, der aus
der Wissenschaft der Hieroglyphik geschöpft
sei. Mit den seltsamen Zeichen ägyptischer Mo-
numente hätten sich vor allem die italienischen
Humanisten beschäftigt, voran Nanni di Viterbo
und Francesco Colonna, von welchem die Hyp-
nerotomachia des Polifilo verfaßt ist, ein Buch
voll von Hieroglyphen und deren Deutungen,
wie man sie verstand. Von ihnen übernahm
Erasmus von Rotterdam den Eifer für die neu
entdeckte Wissenschaft; Willibald Pirckheimer
wie Maximilian und dessen Humanistenkreis
besaßen das lebhafteste Interesse für sie. Schon
der Entwurf Dürers für die Ehrenpforte lehnte
sich ganz an die Hieroglyphika des Horapollon
an; der Kaiser sitzt inmitten der verschieden-
artigsten Bildzeichen, die seine Tugenden, nach
dem Horapollon, darstellen sollen. So bedeutet
z. B. der Stier die Tugend des Maßhaltens
u. dgl. Und in den zoologischen Motiven der
Randzeichnungen im Gebetbuch findet Giehlow
aufs handgreifslidiste die Hieroglyphen dreier
in jener Wissenschaft berühmter Bücher wieder:
der Hypnerotomachie, des Horapollon und der
Antiquitates des Nanni di Viterbo.
Diese Untersuchungen, über welche demnächst
eine Arbeit erscheinen wird, beweisen nachdrück-
lich wieder einmal den innigen Zusammenhang
von Kunst und Ideen einer Zeit, und daß eine
kräftige Kunstepoche so äußerst trockene und
banale Anregungen verarbeiten kann, wie die
spitzfindigen Hieroglyphendeutungen der Huma-
nisten. Oder wäre das Verdienst Dürers wirk-
lich größer, wenn er den ornamentalen Reichtum
des Gebetbuches lediglich aus der Fülle seiner
Phantasie geschöpft hätte? Es gibt vielleicht
Leute, welche es ihm verübeln, daß er sich
einen tifteligen Stoff von den Gelehrten seiner
Zeit vorschreiben ließ, und welche sich mit
Empfindlichkeit von der Tatsache abwenden,
daß auch er ganz unverhohlen andere Künst-
ler abgezeichnet hat (wie den Putto mit dem
Lorbeerkranz in einer der Randzeichnungen,
dessen Urbild Giehlow nachweist in einer Miniatur
in dem Druck der Sforzada, Mailand 1490, jetzt
im British Museum). Aber die Kunstgeschichte
lehrt uns immer von neuem, daß großer
Künstler sein nicht heißt, immer und um jeden
Preis etwas Niedagewesenes schaffen zu wollen.
S.