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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1, Heft 7-12.1908

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Heft 10
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Studien und Forschungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.70401#0325

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Studien und Forschungen

DAS NOVELLENBILD IN DER CASA
□ BUONARROTI □
Die Inanspruchnahme des merkwürdigen Halb-
figurenbildes in der Casa Buonarroti für ein
Porträt Raffaels mit seiner Geliebten wird wohl
nicht weniger Zweifel erregt haben als seine
Zuweisung an Sebastiano del Piombo.1) Der
Münchner ausgezeichnete Bilderkenner, Maler
Siegmund Landsinger, erklärt das Bild, besonders
im Hinblick auf das weit vorzüglichere Exem-
plar im Buckingham Palace, für Tizianisch, und
weist für die weibliche Halbfigur als passendere
Vergleichung statt auf die Frauen des Altar-
blatts in S. Giovanni Crisostomo in Venedig
auf die Herodias in der Galleria Doria in Rom.
Diese gilt jetzt allgemein als Tizian, während
Crowe und Cavalcaselle (VI, 189 d. deutsch. Ausg.)
sie ebenso dem „Giorgione" (für Pordenone)
zuschrieben wie das Bild im Buckingham Palast
und in der Casa Buonarroti.
Was mich speziell von jeher an dem Bilde
interessierte, ist sein Motiv. Dies wird ja auch
nach der neuesten Deutung als „Raffael und
seine Geliebte" für novellistisch angesprochen.
Als „Novelle" erinnere ich mich auch das Bild
früher in Reisehandbüchern bezeichnet gefunden
zu haben. Bayersdorfer hat, nach Herrn Land-
singer, das Bild auch „Giorgione" zugeschrieben
und erklärt, es illustriere eine Novelle. Er fußte
hierbei völlig auf Crowe und Cavalcaselle, die
Herr Benkard hätte nachschlagen sollen. Diese
Autoren wissen den Novellisten zu bezeichnen.
Sie sagen (a. a. 0. S. 190): „Vermutlich hat der
Maler seinen Gegenstand den Novellen des
Bandello entnommen, aber sich die Freiheit der
Darstellung gewahrt und bei der Ausführung
die wirkliche Natur derart zu Rate gezogen,
daß er seinen Figuren bildnisartige Prägnanz
gab."
Es gibt nun aber gleich zwei verschiedene
novellistische Situationen bei Bandello, die auf
das Bild passen. Die eine verdanke ich Herrn
Landsinger, der beim Aufschlagen des Crowe
und Cavalcaselle zugegen war und gleichfalls
den Bandello durchzusehen beschloß. Es ist
II, No. 41, von Adalbert Keller im Italienischen
Novellensdiatz IV No. 87 übersetzt unter dem
Titel „Die Errettung aus dem Grabe". Diese
Novelle hat den Vorzug venezianisch zu sein

9 Vgl. Monatshefte 7'8. S. 654 b. ff.

und, nach ihrer Einleitung, einen wirklichen
Vorfall, wie er nur in der lautlosen Lagunen-
stadt möglich ist, zu erzählen. Auf Venedig
aber führt der von L. Curt und H. Cook im
Burlington Magazine (Mai 1906) herbeigezogene
Kupferstich mit dem Monogramm Zoan Andreas,
den die Monatshefte in Heft 7/8 S. 655 brachten.
Es handelt sich in dieser Novelle um einen
Jüngling Gerardo, der ein gleichfalls noch sehr
jugendliches Mädchen aus der Nachbarschaft —
höchst unnötiger Weise und nur durch beider
blöde Unreife erklärlich — heimlich, nur unter
dem Kirchensegen ihrer beiderseitigen Amme
zur Frau nimmt. Unmittelbar darauf wird er
von seinem Vater in Handelsgeschäften über
See geschickt, das Mädchen von ihrem Vater
zu einer anderen Ehe genötigt, der sie sich —
wieder ganz blöde, ohne etwas zu verraten —
dadurch zu entziehen beschließt, daß sie (durch
Anhalten des Atems) freiwillig in den Tod geht.
Gerardo kehrt gerade zurück, als das Todten-
amt seiner heimlich Vermählten gehalten wird.
Außer sich beschließt er, sie noch einmal zu
sehen und an ihrer Seite zu sterben. Zu diesem
Zwecke verbündet er sich mit dem ihm er-
gebenen Bootsmann seiner Handelsbarke, der
ihm behülflich ist, nächtlicher Weile ihr Grab-
gewölbe auf dem Castello zu erbrechen. Dabei
entdecken sie, daß noch Wärme in dem Leichnam
ist, Gerardo fühlt nach dem Herzen der in seinen
Armen Liegenden und erkennt, daß es noch und
bald immer stärker pocht.
In der Tat fühlt auf beiden Darstellungen,
sowohl des Gemäldes, als des Kupferstichs in
der Ambrosiana, der Liebhaber nach dem Herzen
der in seinen Armen Liegenden, die noch dazu
auf dem Kupferstich durch den halb geöffneten
Mund und die in die Höhe gezogenen unteren
Augenlider deutlich als Todte charakterisiert ist.
Auch in anderer Beziehung paßt gerade diese
nachweislich aus Venedig stammende Darstellung
auf die venezianische Novelle, da sowohl der
bartlose Jüngling, als sein noch kaum entwickeltes
Mädchen sichtlich noch ganz jugendliche Ge-
schöpfe sind.
Nicht so auf den Gemälden. Hier haben wir
es mit reifen, höchst charaktervoll aufgefaßten
Gestalten zu tun. Der Liebende fühlt hier nicht
momentan nach dem Herzen der Geliebten.
Sondern er hält sie, die ohnmächtig an seine
Schulter gesunken nur zu schlafen scheint, mit
einer eigentümlichen starren Ruhe des zusammen-
 
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