&|MONATSHEFTE[
&ÜB ^KUNSTWI SSENSCHAFT
Herausgeber: DR- GEORG BIERMANN
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2
□ Begründet als „Monatshefte der Kunstwissenschaftlichen Literatur" von Dr. Ernst Jaffe und Dr. Curt Sadis
I. Jahrg.
Heft 12
1908
Zwei Predellenbilder von Raphael1)
Von Georg Gronau
Vor etwa zwei Jahrzehnten stand die Frage der Jugendentwicklung Raphaels
im Vordergrund des kunstgeschichtlichen Interesses; sie wurde von kenntnisreichen
Forschern in Zeitschriftenartikeln und in selbständigen Abhandlungen, die von Morellis
so neuen, als geistvollen Untersuchungen angeregt worden waren, nicht ohne Leiden-
schaft behandelt. Seither ist es mit dieser Frage ebenso still geworden, wie mit der
Raphaelforschung im Allgemeinen, ohne das eine Einigung erzielt worden wäre; es
steht mit diesem Problem gegenwärtig genau so, wie zu der Zeit, als Morelli in die
Jahrhunderte alte Überlieferung Bresche legte.
Eine Klärung ist nur zu erhoffen, wenn wir an Stelle der Konjekturen einen
auf Tatsachen basierenden sicheren Boden zu schaffen vermögen. Das kann von
zwei Seiten aus unternommen werden, durch Gewinnung und Interpretation neuer
Tatsachen über Raphaels Leben, oder dadurch, daß es gelingt, den bereits bekannten
Werken durch andere Gruppierung neue Resultate zu entnehmen. Wird unserer
positiven Kenntnis eben jetzt durch einen ausgezeichneten italienischen Forscher wert-
volles unbekanntes Urkundenmaterial zugeführt, das uns mit den ersten Anfängen
des Schaffens Raphaels bekannt macht, so mag das Folgende als ein Versuch betrachtet
werden, von der anderen Seite her, von der aus ein Zugang möglich ist, dem Problem
näher zu kommen.
Die zwei kleinen Tafeln, die den Ausgangspunkt dieser Betrachtungen bilden,
sind keine unbekannten Werke; sie haben beide gelegentlich die Forschung beschäftigt;
ihre Zusammengehörigkeit jedoch ist erst in neuerer Zeit erkannt worden. Die Ursache
dafür ist wohl in der Entlegenheit der Plätze zn suchen, an denen sie bewahrt
werden: in der Sammlung Sir Frederic Cooks zu Richmond und in der Akademie zu
Lissabon. Passavant hat in seinem monumentalen Werk, das für alle Zeiten die
, Verf. ist der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart für die gütige Überlassung der
Abbildungen, die diesem Aufsatz beigegeben sind, zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Sie sind
der demnächst erscheinenden vierten Auflage des Raffael-Bandes der „Klassiker der Kunst"
entnommen.
70
&ÜB ^KUNSTWI SSENSCHAFT
Herausgeber: DR- GEORG BIERMANN
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2
□ Begründet als „Monatshefte der Kunstwissenschaftlichen Literatur" von Dr. Ernst Jaffe und Dr. Curt Sadis
I. Jahrg.
Heft 12
1908
Zwei Predellenbilder von Raphael1)
Von Georg Gronau
Vor etwa zwei Jahrzehnten stand die Frage der Jugendentwicklung Raphaels
im Vordergrund des kunstgeschichtlichen Interesses; sie wurde von kenntnisreichen
Forschern in Zeitschriftenartikeln und in selbständigen Abhandlungen, die von Morellis
so neuen, als geistvollen Untersuchungen angeregt worden waren, nicht ohne Leiden-
schaft behandelt. Seither ist es mit dieser Frage ebenso still geworden, wie mit der
Raphaelforschung im Allgemeinen, ohne das eine Einigung erzielt worden wäre; es
steht mit diesem Problem gegenwärtig genau so, wie zu der Zeit, als Morelli in die
Jahrhunderte alte Überlieferung Bresche legte.
Eine Klärung ist nur zu erhoffen, wenn wir an Stelle der Konjekturen einen
auf Tatsachen basierenden sicheren Boden zu schaffen vermögen. Das kann von
zwei Seiten aus unternommen werden, durch Gewinnung und Interpretation neuer
Tatsachen über Raphaels Leben, oder dadurch, daß es gelingt, den bereits bekannten
Werken durch andere Gruppierung neue Resultate zu entnehmen. Wird unserer
positiven Kenntnis eben jetzt durch einen ausgezeichneten italienischen Forscher wert-
volles unbekanntes Urkundenmaterial zugeführt, das uns mit den ersten Anfängen
des Schaffens Raphaels bekannt macht, so mag das Folgende als ein Versuch betrachtet
werden, von der anderen Seite her, von der aus ein Zugang möglich ist, dem Problem
näher zu kommen.
Die zwei kleinen Tafeln, die den Ausgangspunkt dieser Betrachtungen bilden,
sind keine unbekannten Werke; sie haben beide gelegentlich die Forschung beschäftigt;
ihre Zusammengehörigkeit jedoch ist erst in neuerer Zeit erkannt worden. Die Ursache
dafür ist wohl in der Entlegenheit der Plätze zn suchen, an denen sie bewahrt
werden: in der Sammlung Sir Frederic Cooks zu Richmond und in der Akademie zu
Lissabon. Passavant hat in seinem monumentalen Werk, das für alle Zeiten die
, Verf. ist der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart für die gütige Überlassung der
Abbildungen, die diesem Aufsatz beigegeben sind, zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Sie sind
der demnächst erscheinenden vierten Auflage des Raffael-Bandes der „Klassiker der Kunst"
entnommen.
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