^^ RUNDSCHAU j^^
EIN OFFENER BRIEF
Der Direktor der Bremer Kunsthalle schreibt
unter dem 17. November:
Sehr verehrter Herr Dr. Biermann!
Lassen Sie mich gestehen, daß ich mit einer
an Bestürzung grenzenden Überraschung den
Artikel über den präsumtiven Leiter der
Nationalgalerie in den Kunstwissenschaft-
lidien Monatsheften, Heft 11, gelesen habe. Ja,
wenn er noch in der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung gestanden hätte! Aber in Ihrer vor-
trefflichen Zeitschrift durfte man schwerlich er-
warten, jene oft gehörten Einwände wieder-
zufinden, die eine nicht ganz uninteressierte
Polemik als Waffen gegen Hugo von Tschudi
zur Hand zu nehmen pflegt: seine „Vorliebe für
die modernen Franzosen", die Vernachlässigung
„anerkannter deutscher Künstler", der Hinweis
auf die „Gründungsakte der Nationalgalerie".
Dergleichen Schlagworte taugen trefflich für eine
Agitationsrede im Schoße der allgemeinen deut-
schen Kunstgenossenschaft und man weiß, was
man sich dann dabei zu denken hat. Die übri-
gen Kunstfreunde indessen, die einigermaßen
informiert und weniger materiell interessiert
sind, wissen es doch, daß jene Franzosen, die
Tschudi in die Nationalgalerie eingeführt hat,
die Millet und Manet und Renoir und wie sie
heißen, heute nur noch insofern modern ge-
nannt werden können, wie man im allgemeinen
von einer modernen Geschichte oder von einer
modernen Literatur spricht. Im übrigen sind sie
als historische Größen, deren Bedeutung durch
keine Landesgrenzen beschränkt wird, von der
kultivierten Welt einmütig anerkannt. In diesem
Sinne verdienen sie es, vielmehr klassisch als
in mißverständlicher Anwendung des Wortes
modern genannt zu werden. — Und grade des-
wegen, weil diese Meister auch für die Ent-
wicklung der deutschen Kunst von einer unbe-
streitbaren, entscheidenden Bedeutung gewesen
sind, haben sie ein Anrecht darauf, in der
Nationalgalerie vertreten zu sein. Muß man so
oft — auch von Tschudi selber — Wiederholtes
noch einmal sagen?
Wenn ferner an die Gründungsakte der
Nationalgalerie erinnert wird, an ihre Bestim-
mung, „der deutschen Kunst" zu dienen, so
darf nachdrücklich betont werden, daß dieses
nicht etwa ganz dasselbe heißt wie „der deut-
schen Künstlerschaft" dienen. Beispielsweise
wäre es für die materielle Unterstützung un-
serer Künstler sehr erwünscht, daß von mög-
lichst vielen deutschen Malern möglichst viele
Bilder angekauft würden, während damit der
Kunst, ihrer Förderung und Pflege schwerlich
gedient wäre.
Wenn man sich also darüber einigen darf,
daß es für die Nationalgalerie nur auf die
maßgebenden, die tüchtigsten und besten
Künstler ankommt, so wird es schwerlich zu
leugnen sein, daß gerade für diese Tschudi
nicht wenig geleistet hat. Unter seiner Leitung
haben beispielsweise Schadow, Krüger, Blechen,
Gärtner, Waldmüller, Menzel, Leibl, Schuch,
Trübner, Klinger eine ganz andere, angemesse-
nere Vertretung in der Nat. Galerie gefunden,
als sie ihnen früher eingeräumt war. Er und
kein anderer ist es gewesen, der grade die
ältere Berliner Schule ins rechte Licht ge-
rückt hat. Allerdings fehlen noch manche
„anerkannte Künstler", beispielsweise aus Ber-
lin gleich Corinth und Slevogt; und Leistikow
ist mit einem Bilde, übrigens einer Schenkung,
kaum genügend vertreten. Audi von Lieber-
mann erwartet man mehr zu sehen. Doch glau-
ben Sie, daß an diesen Unterlassungssünden
Tschudi die Schuld trägt?
Nein, darin werden Sie mir gewiß zustimmen,
daß man allenfalls diese oder jene Einzelheit
der Verwaltung Tschudis bemängeln könne, nicht
aber seinen Geschmack und nicht seinen Charakter,
namentlich nicht seinen Charakter!
Kenner der alten Kunst und geschmackvolle
Sammler der neuesten Kunst haben wir ja
schließlich nicht wenige in Deutschland — wenn-
gleich die Zahl derer wahrlich gering ist, die
beides zugleich sind. Noch seltener aber dürfte
ein Mann gefunden werden, der an einer ex-
ponierten Stellung als hoher Beamter seine wohl
begründete Überzeugung so freimütig und stand-
haft wie Tschudi vertreten hat, der sein besseres
Wissen nie verleugnet hat — unter vielen An-
feindungen nnd Intriguen und angesichts der
offenbaren Ungunst des kaiserlichen Hofes. Eben
diese Haltung ist es, die Hugo v. Tschudi die
Sympathien von vielen Tausenden, auch außer-
halb seiner Berufssphäre erworben hat.
Nun hören wir, daß die erneuerte National-
galerie, das Lebenswerk Tschudis, dem Herrn
Direktor Anton von Werner übertragen werden
soll. Zu einer solchen Wahl ist im heutigen
EIN OFFENER BRIEF
Der Direktor der Bremer Kunsthalle schreibt
unter dem 17. November:
Sehr verehrter Herr Dr. Biermann!
Lassen Sie mich gestehen, daß ich mit einer
an Bestürzung grenzenden Überraschung den
Artikel über den präsumtiven Leiter der
Nationalgalerie in den Kunstwissenschaft-
lidien Monatsheften, Heft 11, gelesen habe. Ja,
wenn er noch in der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung gestanden hätte! Aber in Ihrer vor-
trefflichen Zeitschrift durfte man schwerlich er-
warten, jene oft gehörten Einwände wieder-
zufinden, die eine nicht ganz uninteressierte
Polemik als Waffen gegen Hugo von Tschudi
zur Hand zu nehmen pflegt: seine „Vorliebe für
die modernen Franzosen", die Vernachlässigung
„anerkannter deutscher Künstler", der Hinweis
auf die „Gründungsakte der Nationalgalerie".
Dergleichen Schlagworte taugen trefflich für eine
Agitationsrede im Schoße der allgemeinen deut-
schen Kunstgenossenschaft und man weiß, was
man sich dann dabei zu denken hat. Die übri-
gen Kunstfreunde indessen, die einigermaßen
informiert und weniger materiell interessiert
sind, wissen es doch, daß jene Franzosen, die
Tschudi in die Nationalgalerie eingeführt hat,
die Millet und Manet und Renoir und wie sie
heißen, heute nur noch insofern modern ge-
nannt werden können, wie man im allgemeinen
von einer modernen Geschichte oder von einer
modernen Literatur spricht. Im übrigen sind sie
als historische Größen, deren Bedeutung durch
keine Landesgrenzen beschränkt wird, von der
kultivierten Welt einmütig anerkannt. In diesem
Sinne verdienen sie es, vielmehr klassisch als
in mißverständlicher Anwendung des Wortes
modern genannt zu werden. — Und grade des-
wegen, weil diese Meister auch für die Ent-
wicklung der deutschen Kunst von einer unbe-
streitbaren, entscheidenden Bedeutung gewesen
sind, haben sie ein Anrecht darauf, in der
Nationalgalerie vertreten zu sein. Muß man so
oft — auch von Tschudi selber — Wiederholtes
noch einmal sagen?
Wenn ferner an die Gründungsakte der
Nationalgalerie erinnert wird, an ihre Bestim-
mung, „der deutschen Kunst" zu dienen, so
darf nachdrücklich betont werden, daß dieses
nicht etwa ganz dasselbe heißt wie „der deut-
schen Künstlerschaft" dienen. Beispielsweise
wäre es für die materielle Unterstützung un-
serer Künstler sehr erwünscht, daß von mög-
lichst vielen deutschen Malern möglichst viele
Bilder angekauft würden, während damit der
Kunst, ihrer Förderung und Pflege schwerlich
gedient wäre.
Wenn man sich also darüber einigen darf,
daß es für die Nationalgalerie nur auf die
maßgebenden, die tüchtigsten und besten
Künstler ankommt, so wird es schwerlich zu
leugnen sein, daß gerade für diese Tschudi
nicht wenig geleistet hat. Unter seiner Leitung
haben beispielsweise Schadow, Krüger, Blechen,
Gärtner, Waldmüller, Menzel, Leibl, Schuch,
Trübner, Klinger eine ganz andere, angemesse-
nere Vertretung in der Nat. Galerie gefunden,
als sie ihnen früher eingeräumt war. Er und
kein anderer ist es gewesen, der grade die
ältere Berliner Schule ins rechte Licht ge-
rückt hat. Allerdings fehlen noch manche
„anerkannte Künstler", beispielsweise aus Ber-
lin gleich Corinth und Slevogt; und Leistikow
ist mit einem Bilde, übrigens einer Schenkung,
kaum genügend vertreten. Audi von Lieber-
mann erwartet man mehr zu sehen. Doch glau-
ben Sie, daß an diesen Unterlassungssünden
Tschudi die Schuld trägt?
Nein, darin werden Sie mir gewiß zustimmen,
daß man allenfalls diese oder jene Einzelheit
der Verwaltung Tschudis bemängeln könne, nicht
aber seinen Geschmack und nicht seinen Charakter,
namentlich nicht seinen Charakter!
Kenner der alten Kunst und geschmackvolle
Sammler der neuesten Kunst haben wir ja
schließlich nicht wenige in Deutschland — wenn-
gleich die Zahl derer wahrlich gering ist, die
beides zugleich sind. Noch seltener aber dürfte
ein Mann gefunden werden, der an einer ex-
ponierten Stellung als hoher Beamter seine wohl
begründete Überzeugung so freimütig und stand-
haft wie Tschudi vertreten hat, der sein besseres
Wissen nie verleugnet hat — unter vielen An-
feindungen nnd Intriguen und angesichts der
offenbaren Ungunst des kaiserlichen Hofes. Eben
diese Haltung ist es, die Hugo v. Tschudi die
Sympathien von vielen Tausenden, auch außer-
halb seiner Berufssphäre erworben hat.
Nun hören wir, daß die erneuerte National-
galerie, das Lebenswerk Tschudis, dem Herrn
Direktor Anton von Werner übertragen werden
soll. Zu einer solchen Wahl ist im heutigen