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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1, Heft 7-12.1908

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Heft 9
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.70401#0217

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VON NEUEN ERWERBUNGEN DES
BERLINER
KUPFERSTICHKABINETTS.
Auf drei Blätter unter den jüngsten Ankäufen
für das Berliner Kupferstichkabinett möchte ich
mit einigen Worten hinweisen. Zumeist auf
eine Radierung von Rembrandt, eine der wich-
tigsten Erwerbungen der kurzen Ära Lehrs.
Das ist ein besonders schöner Abdruck des
heiligen Hieronymus in bergiger Landschaft,
Bartsch Nr. 104, im seltenen ersten Zustand der
Platte. In der Kunst Rembrandts findet sich der
Hieronymus häufig, auf Bildern und Zeichnungen,
von den Radierungen zeigen sechs den gelehrten
Heiligen (B. 100—105, 106 ist nicht von Rem-
brandt). Von diesen sind drei (100, 101, 102)
in den 1630er Jahren entstanden, zwei (103 und
105) in den vierziger Jahren. Die Radierung
B. 104 ist nicht datiert, aber nach allgemeinem
und richtigem Urteil in die 1650 er Jahre zu ver-
weisen, sie gehört also der Zeit der letzten
Reife des Künstlers an.
Das Blatt führt seit alters den Titel: der
heilige Hieronymus in Dürers Geschmack. Wann
der ungeschickte Name aufkam, kann ich nicht
nachweisen.1) Ein besserer Name wäre gewesen:
in venetianischem Geschmack. Wenn Rembrandt
bei dieser Arbeit von fremder Kunst geleitet
wurde, dann sicher nicht von deutscher, son-
dern von italienischer. F. Seymour Haden hat
sogar die Behauptung aufgestellt, der land-
schaftliche Grund, also der wesentlichste Teil
der Komposition, sei von Rembrandt nach einer
Zeichnung Tizians aus dem Besitz von Dr.
Wellesley kopiert worden.2) Auf der Zeichnung
fehle aber der Löwe, auch zeige sie an Stelle
des Heiligen eine liegende Venus. Diese Mit-
teilung ist seitdem in alle späteren Kataloge
ungeprüft übernommen worden. Über den Ver-
bleib der Zeichnung ehemals bei Dr. Wellesley
habe ich nichts erkunden können. Wenn, ohne
die Zeichnung gesehen zu haben, ein Rückschluß
von der Radierung auf sie gestattet ist, dann
handelt es sich um eine Zeichnung, die 1877
wohl Tizian heißen konnte, jetzt aber wahr-
scheinlich Campagnola heißen würde. Ob aber

9 Vielleicht erst durch Bartsch (1797), der in der Be-
sdireibung des Blattes sagt: La composition approdie
beaucoup de la maniere d'Albert Durer.

2) The etched Work of Rembrandt. London 1877,
pag. 45.

Tizian oder nur Campagnola, das würde dem
Vorgang, daß Rembrandt eine italienische Zeich-
nung kopiert habe, nichts von seiner Wichtigkeit
nehmen. Ich habe aber starke Zweifel, daß
Seymour Haden die Abhängigkeit der Radierung
von der Zeichnung richtig festgesetzt hat. Es
wird sich wohl nur um eine allgemeine Über-
einstimmung handeln, die auch für andere Zeich-
nungen gilt, z. B. für die Titian genannten
Zeichnungen in den Uffizien (Alinari, Raccolta
di Disegni 284), im Louvre (Chennevieres IV,
Le Titien 8), in Chatsworth (Strong 39), für die
Zeichnung von Campagnola in Chatsworth
(Strong 59). Ob Rembrandt in den fünfziger
Jahren bei Kompositionen, in denen die handeln-
den Figuren komponierten Landschaften hero-
ischen Charakters nebensächlich eingefügt er-
scheinen, von italienischen Vorbildern bestimmt
war, soll hier nicht erörtert werden. Für
die Landschaft des Hieronymus braucht eine
spezielle Vorlage nicht angenommen zu werden,
sie ist nicht fremdartiger oder italienischer als
andere Hintergründe derselben Periode, z. B. auf
den Bildern: Ruhe auf der Flucht 1647 in Dublin
Bode 342, Susanna im Bade überrascht 1647 in
Berlin Bode 322, die Landschaft um 1650 in
Kassel Bode 343, Landschaft mit dem Tobias
um 1650 in Glasgow Bode 344, Abschied der
Hagar um 1650 Newnham Paddox Bode 334,
auf den Radierungen: Rückkehr von Ägypten
1654 B. 60, Christus am Ölberg 1657 B. 75, der
•heilige Franziscas 1657 B. 107.
Middleton1) findet den Heiligen und den
Löwen um soviel besser als die Landschaft, daß
er nur diese für die eigene Arbeit Rembrandts
hält, die in eine fremde Platte nach Tilgung
einer anderen figürlichen Staffage hineinradiert
sei. Das wäre also derselbe Fall, wie bei der
Flucht nach Ägypten, in die Rembrandt die Platte
des Herkules Seghers mit einem Tobias geändert
hat. Denselben Vorgang, die Überarbeitung
einer Segherschen Platte durch Rembrandt, habe
ich noch für ein weiteres Blatt glaubhaft zu
machen versucht, für die Landschaft mit den drei
Bäumen. Meine Bemerkung ist aber völlig
ignoriert worden, sie wurde weder bekämpft
noch angenommen. Von ihrer Richtigkeit bin
ich auch heute noch überzeugt.
Middletons Behauptung wurde von allen
späteren abgelehnt. Das beste Beweisstück gegen

9 Catalogue of the etched work of Rembrandt, S. 228.
 
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