Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. t6.

Münchner kunsttechnische Blätter.

95

Diese 27 Tafein geben woh! die Mögüchkeit,
die prismatischen Versuche zu variieren, und Goethe
ist darin sehr erfinderisch; er geht von dem gegen-
sätzlichen weissen Streifen auf schwarzem
Grund und schwarzen Streifen auf weissem
Grund (Taf. 3 u. 4) aus, er verringert und er-
weitert, er kreuzt sie und krümmt die Linien nach
allen Seiten oder benutzt kreisrunde Flächen, um
schliesslich doch nur immer wieder ein einziges
Resultat zu erzielen, nämlich die farbigen Ränder,
die sich stets in einer Richtung zeigen. Aber ich
kann mich der Erwägung picht verschliessen, dass
Goethes Versuche zu einseitig sind und er die
Möglichkeiten nicht voll ausgenützt hätte. Um sich
darüber zu vergewissern, was eigentlich bei der
prismatischen Farbenentstehung vorgeht, hätte ihm
eine andere Art der Versuchsreihe bessere Dienste
leisten können, und ich möchte hier einige dieser
Versuche kurz anschliessen.
Zu diesem Zwecke wiederholen wir zunächst
Goethes Versuche (§ 36 u. folg, der I. Beiträge),
indem wir uns eines gewöhnlichen Glasprismas,
das mit unterwärts gekehrtem Brechungswinkel vor
das Auge gehalten wird, nach Goethes Weisung
bedienen und auf diese Art seine Tafeln, auf denen
Schwarz und Weiss verschiedentlich abwechseln,
durch das Prisma betrachten (subjektive prisma-
tische Versuche).
Goethe sieht bekanntlich die an den Grenzen
zwischen den schwarzen und weissen Rändern ent-
stehenden Farben als zwei unveränderlich einan-
der gegenüberstehende Pole an und leitet aus
diesen Erscheinungen den Grundsatz, auf dem alles
beruhe, her: Das Prisma zeigt die Farben nicht
einander folgend, sondern einander entgegenge-
setzt. § 36 heisst es freilich: „Wenn wir den Ver-
such, welcher den horizontalen weissen Streifen
ganz gefärbt und die fünf Farben in einer Folge
zeigt, einen Augenblick bewundern, so hilft uns
doch bald die alte Theorie, und wir können uns
den horizontalen Papierstreifen als eine Oeffnung
eines Fensterladens, als die Wirkung eines herein-
fallenden in die fünf oder sieben Farben gebro-
chenen Lichtstreifens vorstellcn (also Newtons
System!). Wenn wir aber den schwarzen Streifen
auf weiss Papier vor uns nehmen, so verwundern
wir uns um desto mehr, da wir auch diesen Streifen
völlig aufgehoben, und die Finsternis sowohl als
das Licht in Farben verwandelt sehen. Ich habe
fast einen jeden, der diese letzte Erfahrung zum
erstenmal machte, über diese beiden Versuche
erstaunt gesehen; ich habe die vergeblichen Be-
mühungen gesehen, das Phänomen aus der bis-
herigen Theorie zu erklären."
Auch in §67, wo ein weisses Rund auf schwarzer
Umgebung durchs Prisma betrachtet wird, sagt
Goethe: „Es muss uns bei der weissen nach dem
Schema Nr. 3 durchs Prisma veränderten und zu-
gleich sehr in die Länge gezogenen runden Figur

das Spektrum Sclis des Newton einfallen, und wir
glauben einen Augenblick die Wirkung eines durch
ein Loch im Fensterladen gespaltenen Lichtstrahls
zu erblicken; wenn wir aber daneben einen Strahl
der Finsternis annehmen, und denselben so gut
als das Licht in fünf oder sieben Farben spalten
müssen, so sehen wir leicht, dass wir auf dem Wege
sind, in grosse Verwirrung zu geraten."
Worin, so müssen wir fragen, besteht diese
„grosse Verwirrung"? Doch nur darin, dass Goethe
die „Finsternis" als gleich wirksam wie das Licht
betrachtete, während eigentlich nur das Licht allein
für unsere Empfindung wirksam ist, die Finsternis
als solche aber gar nicht empfunden werden kann.
Für Goethe bietet der in fünf oder sieben Farben
veränderte weisse Streifen oder das weisse Rund
auf schwarzer Unterlage anfänglich keine Schwie-
rigkeit der Erklärung, im Sinne Newtons denkt er
„einen Augenblick" an die Möglichkeit des „ge-
spaltenen Lichtstrahls", aber die gespaltene
Finsternis setzt ihn in „Verwirrung"; das ist auch
wohl begreiflich, denn der schwarze Streifen auf
Weiss wird und kann nicht gespalten werden! Die
Strahlungen des angrenzenden Weiss grei-
fen über das Schwarz, sie sind umso stärker,
je stärker der Brechungsgrad des Prismas ist, und
sie überstrahlen in gegenseitiger optischer Mi-
schung das Schwarze (die „Finsternis" Goethes),
so dass dieses endlich ganz und gar verschwindet.
Das ist's, was Goethe wohl verwirrte.
Gehen wir nunmehr auf Goethes Versuche selbst
ein. Nehmen wir zunächst den einfachsten Fall,
den weissen Streifen auf schwarzem Grund
der Tafel 3 und machen die beschriebenen Ver-
suche.
I. Versuch:
Auf Goethes Tafel ist die Breite des weissen
Streifens 1-2 cm, die obere und untere daran-
stossende Fläche je 2 cm; genau gemessen: der
obere etwas breiter (2-2 cm), was aber gleichgiltig
ist. (Um Raum zu sparen, sind die hier beeig-


3T
gebenen Figuren in halber Grösse der Vorlagen
ausgeführt; dementsprechend sind die weiteren An-
gaben der Distanzen zu bemessen.)
 
Annotationen