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Mächen, i6. Sept. 1918.

SeitagK zar „Werkstatt der Knast" (E. A. Seeataa, Leipzig),
Ersohe!at)4tägig anter Leitang vea Maier Prof. Erast Berger,

HY. Jahrg. Nr. 24

Inhalt: Irrungen und Wirrungen in der „neuesten Kunst". Von M. St. (Schiuss.) — Das Strassburger Manu-
skript, die ätteste deutsche Quelle für Maitechnik. (Schiuss) — Ueber Spachteigrund. — Bemalte Lein-
wand wieder gebrauchsfähig zu machen. — Inhaitsverzeichnis der im XIV. Jahrgang abgedruckten Ab-
handiungen und Anfsätze.

Irrungen und Wirrungen in der „neuesten Kunst".
Von M.St.
(Schiuss.)

Die „modernen" Kunstschreiber woben aber
nur den geistigen Gehalt des Werkes, ohne die
materiellen Beigaben; sie wollen ein Bild ohne
Farben und Linien, wie man die „Blume des Weins"
aufnimmt, ohne den Wein zu trinken; sie wollen
die Wirkung ohne die Ursache! Sie verlangen also
Unmögliches. Deshalb das Uebergreifen zum Mysti-
zismus, Okkultismus und zum Astral-Aberglauben.
Theodor Däubler, einer der entschiedensten
Verkünder des Expressionismus, meint in einem
seiner kritischen Manifeste (Insel-Almanach 1918,
S. 180), „dass sich heute viel Künstler mit Astro-
logie, mit neuen Deutbarkeiten des Wesens der
Sterne, ihrer Einflüsse in der menschlichen Seele
beschäftigen: möglich, dass auf diesem Wege der-
einst die Kiassik im Expressionismus hervorgeht!"
Er weist darauf hin, dass seit undenklichen Zeiten
(also von der Vergangenheit her, für die noch die
Sonne ein Planet war, Uranus, Neptun und die
Planetoiden noch nicht existierten) jedem Planeten
ein Metall und eine Farbe zugeschrieben wurden;
und wenn auch „mit diesem Kanon jetzt niemand
arbeitet", so erwartet Däubler doch von ihm als
einer „zusammenfassenden Vereinfachung" Wich-
tiges durch die expressionistische Schule. „Man
wird nämlich unstreitig bei Künstlern aller Zeiten,
die kühn aus der Vollkraft ihres Ich schöpften,
ein ihnen eigentümliches Festgehaltensein
von bestimmten Farben, somit esoterisch ge-
sprochen von Gestirnen, von denen ihr Wesen ab-
hängt, mit sicherem Griff klarzulegen vermögen."
Die Mystik der Farbe an sich ist ein von
neuen Malern sehr wichtig genommenes Problem,
aber es ist nicht neu, es wird nur jetzt stärker
betont als früher. Dr. P. E. Küppers sagt ge-

legentlich einer Expressionisten-Ausstellung in Han-
nover in diesem Zusammenhang:
„Die Ausdruckskraft, der Emotionswert der
Farbe, ihre Bedeutung als unmittelbarer Gefühls-
erreger und als Symbol seelischer Erlebnisse wird
heute noch oft genug als die exzentrische Theorie
neuerungswütiger Revolutionäre verschrien, ob-
gleich Goethe in seiner Farbenlehre feststellt:
,Die Erfahrung lehrt, dass die einzelnen Farben
besondere Gefühlsstimmungen geben', obgleich er
im letzten Kapitel deutlich auf ,allegorischen, sym-
bolischen und mystischen Gebrauch der Farbe' hin-
weist. Er hat also schon theoretisch gegen die
absolute Malerei, die die Farben verwendet wie
die Musik die Töne, nichts einzuwenden, denn an
einer anderen Stelle spricht er es deutlich aus,
dass der Ausdruckswert der Farbe ganz unabhängig
davon sei, ob sie einen Gegenstand wiedergäbe
oder nicht."
Natürlich! Ohne Goethe geht es heute nicht,
wenn etwas Neues bewiesen werden soll. Aber
Goethes feingebildeter ästhetischer Sinn würde er-
schrecken, wenn ersehenkönnte, welcher Missbrauch
mit seinen Theorien getrieben wird, um zur „ab-
soluten Malerei" mittels Farben gleich den musi-
kalischen Tönen zu gelangen. Und wie würde
Goethe sich von einer „Kunst des Ausdrucks"
angewidert fühlen, wenn er die Uebertreibungen
hätte sehen können, deren sich die jüngsten Ex-
pressionisten hingeben. Von einem derselben sagt
der Berichterstatter (aus Homburgs Kunstsälen):
„Eine Vorliebe für erschreckliche Hässlichkeit, Ab-
scheuliches und Verbogenes, für mitleiderregende
Phantome. Seine Art, Geäder blosszulegen, End-
loses, Trostloses, Grämliches aufzudecken, glatt-
 
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