Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
!22

Münchner kunsttechnische Blätter

Nr. 2:

modernen Bewegung, die mit einem freüich etwas
vieldeutigen Sammelbegriff kurz als Expressionis-
mus bezeichnet wird, noch länger anzuzweifeln,
ist Sache eines verlorenen Postens" (M. N. N.
v. 13. XI. 17, Abendausg.).
Wir folgern daraus das Vorhandensein einer
„neuen" ganz bestimmten Richtung innerhalb des
Kunstschaffens, die sich von den früheren ganz
deutlich gekennzeichnet unterscheidet.
Worin besteht das Wesen des Expressionis-
mus? Eigentlich heisst doch dieUebersetzung des
Wortes soviel wie Ausdruckskunst, d. h. die Kunst,
mit Hilfe von Formen und Farben etwas auszu-
drücken. Aber ist es nicht Aufgabe der Kunst
aller Zeitengewesen, auf dieangegebene Art,,etwas",
also Gedanken, Eindrücke der Natur, Erlebtes und
Erdachtes, Wirklichkeit und Phantasie darzustellen.
Was also bietet der Expressionismus Neues? Dem
Inhalt nach nicht, aber der Form nach, so hören
wir sagen.
Rud. Oldenbourg charakterisiert die moderne
Bewegung mit folgenden Worten: „Fasst man, un-
beirrt von den leider zahllosen Auswüchsen, die
Ziele dieser modernen Kunstbestrebungen ins Auge,
die wir zusammenfassend als ,Expressionismus' be-
zeichnen, so ergibt sich die überraschende Tat-
sache, dass ihre Theorie längst nicht so neuartig
ist, als die oft so exzentrische Praxis glauben machen
könnte. Denn es hat von jeher gegolten, dass der
Künstler seinen Stoff nicht wahllos aus der Natur
reissen, sondern nach einem innerlich erschauten
Bild mit dichterischer Freiheit als selbständige
Schöpfung von der Wirklichkeit ableiten, d. h.
trennen solle, und mit dieser Betonung des Inhalt-
lichen, der seelischen Durchdringung des Kunst-
werks, die ihrerseits wieder eine Rückbewegung
von der stark artistischen Neigung des Expres-
sionismus bedeutet, kommt die heutige Kunst dem Be-
dürfnis der empfänglichenGemüter wieder entgegen."
Demnach stellt die Bewegung des Expressionis-
mus sich in Gegensatz gegen den Impressionsmus,
gegen die Malerei des „Eindrucks", d. h. des dem
Auge sich darbietenden Naturvorbildes, der nur flüch-
tig gesehen, also auch abgekürzt wiedergegeben
werden kann. Während aber die Impressionisten
naturgemäss an ein Vorbild gebunden sind (ohne
solches könnten sie nicht malen!), schafft der Expres-
sionist aus sich heraus, er folgt seiner Einbildungs-
kraft, er „erschafft" sich die Formen, die er dar-
stellen will oder soll.
An der gleichen Stelle (M. N. N v. 11. V. 17
Abendausg.) sagt Oldenbourg weiter: „Tatsächlich
stehen wir heute wieder in heissem Kampf um einen
neuen Idealismus in der Kunst. Gegenüber
der Vorliebe der Impressionisten für verblüffende
Augenblickswirkungen und fragmentarische Bild-
gestalt betonen die neueren Meister den Emphn-
dungsgehalt und die organische Abgeschlossenheit
des Kunstwerks." Fortsetzung folgt.)

Kurze Bemerkungen zu Goethes
Farbenlehre.
Von E. B.
(Schluss.)
654.
. . . Warum macht er denn erst die möglichen
Versuche verdächtig, warum schiebt er alles ins
Ueberfeine, und warum kehrt er denn zuletzt immer
wieder zu den ersten Versuchen zurück? Nur um
die Menschen zu verwirren und sich und
seiner Herde eine Hintertüre offen zu lassen.
Mit Widerwillen übersetzen wir die fratzen-
hafte Erklärungsart, wodurch er, nach seiner
Weise, die Zerstörung der grünen prismatischen
auf den Mennig geworfenen Farben auslegen will.
656.
... Es wird künftig zur Sprache kommen, was
noch alles für Unsinn aus dieser Verstel-
lung s a r t, in einem System, fünf bis zehn Systeme
en dchelon aufmarschieren zu lassen, herausspringt.
(NB. Die Mischung von Mennig mit grünem
Licht —gelb, erklärt Newton ganz richtig!)
658.
Da das ganze Verhältnis der Sache aber um-
ständlich dargetan ist, so bleibt uns weiter nichts
übrig, als diesen baren Unsinn der Nachwelt zum
Musterbilde einer solchen Behandlungsart zu emp-
fehlen.
662.
Ob wohl in der Geschichte der Wissenschaften
etwas ähnlich Närrisches und Lächer-
liches von Erklärungsart zu finden sein möchte?
Das sind die „bei den Fachmännern mit Recht
verrufenen Kapitel" von Goethes Farbenlehre, wie
der Physiker Fr. Jos. Pisko*) sie benannt hat,
denn dieselben sind nicht mit der Ruhe des alles
genau abwägenden Gelehrten, sondern mit dem
Hass und der Galle der Ironie abgefasst, die bei
einem so grossen Geist, wie es Goethe war, be-
fremden müssen. Aber nicht allein Newton, son-
dern auch seine Anhänger werden mit seinen Hass-
ausbrüchen bedacht, die er in das „Narrenhaus"
oder in die Küche der Hexen verweist; er be-
handelt sie als Kosaken, deren „Hetman" er New-
ton nennt, er wundert sich, dass es in dem mensch-
lichen Gehirn Organe gebe, die fähig sind, dergleichen
Ideen zu fassen und er wünscht, „der Dr. Gail möge
den Hirnschädel eines wahren Newtonianers unter-
suchen, damit dieses Problem gelöst werde"!
Der vierte Akt des „Dramas", mit dem wir oben
Goethes Farbenlehre verglichen haben, sollte in
dem polemischen Teil zur völligen „Enthüllung"
aller Falschheiten des Helden geführt haben und
Goethe vermeinte wohl, mit den übel genug zu-
gespitzten Waffen seiner „Urphänomene" der New-
tonschen Lehre für alle Zeiten ein Ende bereitet
zu haben, es folgt aber noch ein „letzter Akt",
in dem rückblickend die „Materialien zur Ge-
schichte der Farbenlehre" ausführlich erör-
tert werden.
*) Pisko, Licht und Farbe (die Naturkräfte, 11. Bd),
München 1876, S. 517, von wo ich diesen Passus in m.
Farbenlehre (S.XII) entnommen habe.
 
Annotationen