1.1 Fragestellung
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treten. Zwar ist die Zahl der namentlich bekannten Großen und Amtsträger gar
nicht so gering/2 doch sind die meisten dieser Personen und vor allem ihre
Beziehungen untereinander überhaupt nicht oder nur schemenhaft erkennbar.
Selbst dort, wo sich verwandtschaftliche Beziehungen rekonstruieren lassen, ist
Vorsicht geboten, wenn es darum geht, die Auswirkungen dieser Beziehungen
auf konkretes Handeln abzuschätzen. Pippins eigene Familie ist das beste Bei-
spiel dafür, dass Verwandte eine wichtige Rolle im Netzwerk der Macht spielen
konnten, dass es aber ebenso Verwandte gab, die nicht Teil dieses Netzwerks
waren oder aus ihm ausgeschlossen wurden.
Schon vor dem Dynastiewechsel hatte Pippin als Hausmeier eine führende
Stellung unter den Großen eingenommen. Es lassen sich keine Anzeichen be-
obachten, dass der Dynastiewechsel größere Auswirkungen auf die Zusam-
mensetzung der Großen hatte. Pippin musste also auch als König seinen Füh-
rungsanspruch mehr oder weniger gegenüber denselben Personen behaupten
wie zuvor. Als Hausmeier war er zwar der mächtigste Große im Frankenreich
gewesen, aber im Prinzip war er immer noch einer der ihren geblieben. Als König
zählte er nun nicht mehr zu den Großen, sondern stand für alle sichtbar über
ihnen. Helmut Reimitz konnte anhand der Königsurkunden und dem Umgang
mit dem Frankentum zeigen, wie sehr Pippin versuchte, ein gemeinsames
Gruppengefühl zwischen sich und den Großen zu fördern.73
Das Königtum eröffnete Pippin eine Reihe von neuen Handlungsfeldern und
Optionen. Darin lag einerseits die große Chance, seine Herrschaft mithilfe des
Königtums weiter auszubauen. Andererseits war damit auch die Herausforde-
rung verbunden, diese Handlungsfelder zu besetzen. Deshalb gilt es, in dieser
Studie ein besonderes Augenmerk auf das Verhältnis zwischen Königskapitular
und Königtum zu legen. Königtum bedeutet dabei mehr als bloßer königlicher
Führungsanspruch. Denn bereits in merowingischer Zeit kam es, wie vor allem
Eugen Ewig und Yitzhak Hen herausarbeiteten, zu einer Christianisierung des
Königsgedankens, an den die Karolinger nahtlos anknüpften.74 Natürlich wur-
den Faktoren wie militärische Stärke und kriegerischer Erfolg nicht obsolet.75
Daneben traten aber nun christliche Herrschertugenden wie Frömmigkeit, Milde
oder Gerechtigkeit. Die Bedeutung dieser Tugenden für das Königtum Pippins
spiegelt sich auch im Königskapitular wider.
Diese Arbeit folgt im Aufbau der durch das Kapitular vorgegebenen Rei-
henfolge. Teilweise werden auch mehrere miteinander zusammenhängende
Beschlüsse gemeinsam behandelt. Die Untersuchung der jeweiligen Beschlüsse
oder Gruppen von Beschlüssen orientiert sich dabei jeweils an drei Fragen: Was
legt der Beschluss eigentlich fest? Wie verhält sich dieser Beschluss zu anderen
einschlägigen Quellen der Zeit, falls vorhanden? Warum könnte dieser Beschluss
in dieser Form ausgerechnet im Rahmen des Königskapitulars getroffen worden
72 Vgl. Isel, Prosopographie.
73 Vgl. Reimitz, Viri inlustres; dens., History. Zum Frankentum vgl. unten Kap. 4.2.3.
74 Vgl. Ewig, Königsgedanken; Hen, Christianisation; dens. Kultur und Religion.
75 Zur Bedeutung von Krieg und vor allem dem Verteilen von Beute für die Herrschaft der Ka-
rolinger vgl. Reuter, Plunder.
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treten. Zwar ist die Zahl der namentlich bekannten Großen und Amtsträger gar
nicht so gering/2 doch sind die meisten dieser Personen und vor allem ihre
Beziehungen untereinander überhaupt nicht oder nur schemenhaft erkennbar.
Selbst dort, wo sich verwandtschaftliche Beziehungen rekonstruieren lassen, ist
Vorsicht geboten, wenn es darum geht, die Auswirkungen dieser Beziehungen
auf konkretes Handeln abzuschätzen. Pippins eigene Familie ist das beste Bei-
spiel dafür, dass Verwandte eine wichtige Rolle im Netzwerk der Macht spielen
konnten, dass es aber ebenso Verwandte gab, die nicht Teil dieses Netzwerks
waren oder aus ihm ausgeschlossen wurden.
Schon vor dem Dynastiewechsel hatte Pippin als Hausmeier eine führende
Stellung unter den Großen eingenommen. Es lassen sich keine Anzeichen be-
obachten, dass der Dynastiewechsel größere Auswirkungen auf die Zusam-
mensetzung der Großen hatte. Pippin musste also auch als König seinen Füh-
rungsanspruch mehr oder weniger gegenüber denselben Personen behaupten
wie zuvor. Als Hausmeier war er zwar der mächtigste Große im Frankenreich
gewesen, aber im Prinzip war er immer noch einer der ihren geblieben. Als König
zählte er nun nicht mehr zu den Großen, sondern stand für alle sichtbar über
ihnen. Helmut Reimitz konnte anhand der Königsurkunden und dem Umgang
mit dem Frankentum zeigen, wie sehr Pippin versuchte, ein gemeinsames
Gruppengefühl zwischen sich und den Großen zu fördern.73
Das Königtum eröffnete Pippin eine Reihe von neuen Handlungsfeldern und
Optionen. Darin lag einerseits die große Chance, seine Herrschaft mithilfe des
Königtums weiter auszubauen. Andererseits war damit auch die Herausforde-
rung verbunden, diese Handlungsfelder zu besetzen. Deshalb gilt es, in dieser
Studie ein besonderes Augenmerk auf das Verhältnis zwischen Königskapitular
und Königtum zu legen. Königtum bedeutet dabei mehr als bloßer königlicher
Führungsanspruch. Denn bereits in merowingischer Zeit kam es, wie vor allem
Eugen Ewig und Yitzhak Hen herausarbeiteten, zu einer Christianisierung des
Königsgedankens, an den die Karolinger nahtlos anknüpften.74 Natürlich wur-
den Faktoren wie militärische Stärke und kriegerischer Erfolg nicht obsolet.75
Daneben traten aber nun christliche Herrschertugenden wie Frömmigkeit, Milde
oder Gerechtigkeit. Die Bedeutung dieser Tugenden für das Königtum Pippins
spiegelt sich auch im Königskapitular wider.
Diese Arbeit folgt im Aufbau der durch das Kapitular vorgegebenen Rei-
henfolge. Teilweise werden auch mehrere miteinander zusammenhängende
Beschlüsse gemeinsam behandelt. Die Untersuchung der jeweiligen Beschlüsse
oder Gruppen von Beschlüssen orientiert sich dabei jeweils an drei Fragen: Was
legt der Beschluss eigentlich fest? Wie verhält sich dieser Beschluss zu anderen
einschlägigen Quellen der Zeit, falls vorhanden? Warum könnte dieser Beschluss
in dieser Form ausgerechnet im Rahmen des Königskapitulars getroffen worden
72 Vgl. Isel, Prosopographie.
73 Vgl. Reimitz, Viri inlustres; dens., History. Zum Frankentum vgl. unten Kap. 4.2.3.
74 Vgl. Ewig, Königsgedanken; Hen, Christianisation; dens. Kultur und Religion.
75 Zur Bedeutung von Krieg und vor allem dem Verteilen von Beute für die Herrschaft der Ka-
rolinger vgl. Reuter, Plunder.