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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0051
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2. Inzest und Ehe

um das Verbot der Verbindung mit der eigenen Mutter und der eigenen Toch-
ter.21 Im Kapitular selbst ist nicht gekennzeichnet, um wessen Tochter es geht.
Dies gilt auch für alle folgenden verbotenen Verwandtschaftsbeziehungen in der
Liste. In der Regel sind die Verwandtschaftsbeziehungen vom homo aus gedacht.
Eine Ausnahme bildet auf jeden Fall Punkt 5 mit den zwei Schwestern (cum
duabus sororibus), so dass nicht automatisch davon ausgegangen werden darf,
dass alle Punkte der Liste vom homo aus gedacht sind. Dass Mutter und Tochter
durch die Konjunktion et verbunden sind, die ansonsten in der Liste keine Ver-
wendung findet,22 und vor filia keine Präposition steht, spricht dafür, dass hier
cum matre et filia ähnlich wie das folgende cum duabus sororibus als eine einzelne
verbotene Konstellation und nicht als zwei Punkte auf der Liste verstanden
werden soll. Auch die Struktur der Liste spricht eher dafür, dass Punkt 4 wie der
unmittelbar folgende Punkt 5 auf die Schwiegerverwandtschaft abzielt. Die
Reihenfolge Tochter der Frau als Punkt 4 und Schwester der Frau als Punkt 5
würde dann auch genau der Reihenfolge aus dem Inzestkatalog von Levitikus 18
entsprechen.23
Die restlichen Punkte beziehen sich auf die leibliche Verwandtschaft. Zu-
nächst folgen Nichten von der Seite eines Bruders oder einer Schwester (Punkt 6-
7). Als nächstes wird die nepta (Punkt 8) erwähnt. Darauf folgen Cousinen 1. und
2. Grades (Punkt 9-10) und Tanten väterlicher- und mütterlicherseits (Punkt Il-
li). Von den aufgezählten leiblichen Verwandtschaftsgraden ist lediglich der
Begriff nepta mehrdeutig, der eine Tante, eine Nichte oder eine Enkelin be-
zeichnen kann.24 Da Tanten und Nichten explizit in der Liste genannt sind, bleibt
unter der Prämisse, dass die Liste keine Dubletten enthält, lediglich die Enkelin
als Bedeutung über.25
Insgesamt zeigt sich in der Liste eine deutliche Strukturierung von der
geistlichen Verwandtschaft über die Schwiegerverwandtschaft zur leiblichen
Verwandtschaft. Diese Reihenfolge ist sicherlich nicht zufällig gewählt. Denn sie
stellt die kontroversen Punkte an den Anfang.26 Die Verbotsliste verdeutlicht das
weitere Verständnis von Verwandtschaft im 8. Jahrhundert, das deutlich über
das moderne westliche Verständnis von Verwandtschaft hinausgeht.27

21 Vgl. Weber, Gesetz, Bd. 1, S. 210 mit Anm. 63 und 65. Dort auch weitere Belegstellen für Verbote
von Beziehungen mit der eigenen Mutter oder Tochter. Dementsprechend übersetzt Weber, Bd. 2,
S. 175, auch „mit der Mutter und der Tochter".

22 Dies Argument ist jedoch nicht ganz zwingend, weil gegen Ende der Liste cum consobrina atque
subrina steht.

23 Lev. 18,17-18: Turpitudinem uxoris tuae etfiliae eins non revelabis. Filiam filii eins, et filiam filiae illius
non sumes, ut reveles ignominiam eins: quia caro illius sunt, et talis coitus incestus est. Sororem uxoris
tuae in pelicatum illius non accipies, nee revelabis turpitudinem eins adhuc illa vivente. Levitus 18,18
beschränkt das Verbot der Ehe mit der Schwester der Frau auf die Lebenszeit der Frau, doch
setzte sich bereits in der Spätantike das Verständnis durch, dass dieses Verbot auch nach dem
Tod der Frau gültig bleibt. Vgl. dazu Ubl, Inzestverbot, S. 51-56.

24 Vgl. Habel — Gröbel, Glossar, Sp. 253; Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 2, S. 934.

25 So auch die Deutung von Weber, Gesetz, Bd. 1, S. 210 Anm. 68.

26 Vgl. unten Kap. 2.3.2.

27 Vgl. Hummer, Visions, S. 1-7.
 
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