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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0061
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2. Inzest und Ehe

Dies zeige sich auch in einer anonymen Predigt, die von Michael Glatthaar mit
sehr überzeugenden Argumenten Bonifatius zugeschrieben wurde, und die
nicht über das biblische Inzestverbot hinausgehe.88
Besonders dem aus der geistlichen Verwandtschaft abgeleiteten Inzestverbot
begegnete der angelsächsische Missionar mit Skepsis und Unverständnis, die er
in einem Brief an Bischof Pehthelm von Whithorn vermutlich im Jahr 735 oder
kurz davor explizit äußerte.89 Ein Antwortschreiben Pehthelms, der noch 735
verstarb, ist nicht überliefert.90 Auch in weiteren Briefen des Bonifatius ist seine
Ablehnung der geistlichen Verwandtschaft als Ehehindernis erkennbar.91

88 Vgl. Ubl, Inzestverbot, S. 244 f. Zur Autorschaft des Bonifatius vgl. Glatthaar, Bonifatius, S. 484-
487. In der Predigt wird Inzest in enger Anlegung an Levitus 18 definiert. Vgl. die Edition von
Machielsen, Fragments, S. 534 Z. 20-32: Clamat ecce Deus noster et humanae libidinis inlicitam rabiem
praevidens contestatur: ne quis polluatur cum matre, non cum noverca, non cum sorore ex patre nata, non
cum sorore ex matre nata, sive intus siveforis nata sit; non cum filia filiae, non cum nep te ex filia nata, non
cum filia novercae, non cum sorore patris, non cum sorore matris; non cum uxore patrui, non cum nuru;
non cum uxore fratris, non cum filia uxoris, non cum filia filii uxoris tuae; non cum filia filiae eius; non
cum sorore uxoris tuae; non cum menstruata muliere, non cum uxore proximi; non cum duabus simul
mulieribus, sive ancillae sint, sive liberae, seu libera et ancilla; non cum masculo coitu femineo, non cum
pecore aliquo, non com socru tua. Non mulier succumbat iumento. Non vir cum filia et matre, non cum
uxore avunculi tui.

89 Bonifatius, ep. 32, S. 56 Z. 6-15: De una quoque re vestrum consilium et responsum audire desideramus.
Adfirmant sacerdotes per totam Franciam et per Gallias nee non et [t] pro his [t] maximi criminis reum
esse hominem, qui in matrimonium acciperit illam viduam, cuius antea filium in baptismo adoptivum
suscipiebat. Quod peccati genus, si verum est, actenus ignorabam et nee in antiquis canonibus nee in
decretis pontificum patres nee in calculo peccatorum apostolos usquam enumerasse cognovi. Qua de re si
aliquid uspiam in ^cclesiasticis scriptis disputatum invenissetis, nobis indicare curate, et, quid vobis
videatur, nosse velimus.
Tangl datiert den Brief mit zwei weiteren Schreiben bezüglich des Inzestverbots durch geistige
Verwandtschaft als Briefgruppe in das Jahr 735. Elliot, Boniface, S. 63 Anm. 1, wirft ein, dass ein
enger zeitlicher Zusammenhang zwar gegeben sei, dies aber nicht bedeuten müsse, dass alle drei
Briefe aus ein und demselben Jahr stammten.
Bonifatius' Brief ist an einer Stelle verderbt, die für die Interpretation des Briefes entscheidend ist.
Der Angelsachse schrieb an Pehthelm, weil Bischöfe ein Eheverbot mit der commater behaup-
teten, und zwar soll es sich um Bischöfe per totam Franciam et per Gallias nee non et [t] pro his [4]
handeln. Tangl macht nicht transparent, dass sein Text an der Stelle konjiziert ist. Bereits Rau,
Briefe, S. 108 Anm. 3 machte auf den verderbten Text aufmerksam und vermutete, dass es sich
um eine Ortsangabe handeln dürfte. Ubl, Inzestverbot, S. 246 Anm. 141 konjizierte überzeugend
per Romam, was auf Bonifatius' Kenntnis der Römischen Synode von 721 schließen lasse.

90 Tangl, Studien II, S. 46-71, setzt kein entsprechendes Deperditum an. Zu Pehthelm vgl. PASE s.v.
Pehthelm 1, First bishop of Withorn.

Auffallend ist, dass Bonifatius' Schreiben an Pehthelm überhaupt Aufnahme in die Brief-
sammlung fand. Der einzige Inhalt des Briefes sind Bonifatius' Zweifel, dass Patenschaft ein
Ehehindernis begründet, sowie seine Bitte an Pehthelm um Stellungnahme. Die Sammlung der
Bonifatiusbriefe entstand nach dessen Tod 754 und wurde vermutlich noch unter Lul, seinem
Nachfolger als Bischof von Mainz, zusammengestellt (Vgl. Tangl, Briefe, S. V-XXXI.). Die
Aufnahme des Briefes in die Sammlung erfolgte also sicher nach der eindeutigen Stellungnahme
von Papst Stephan II. im Frühjahr 754, der ein Eheverbot mit der commater bestätigte, und
höchstwahrscheinlich auch nach dem Königskapitular. Die Aufnahme des Schreibens an Peht-
helm in die Briefsammlung deutet also daraufhin, dass sich das Bonifatiuslager auch nach
dessen Tod nicht mit dieser eherechtlichen Neuerung anfreunden zu können schien.
 
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