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5. Rechtspflege
dass teilweise schon in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts zumindest bei ei-
nigen Gerichten Schöffen tätig waren, während die späten Belege für Rachin-
burgen auf der anderen Seite zeigen, dass am Ende des 8. Jahrhunderts noch
keine flächendeckende Umstellung erfolgt war.144 Karl der Große und seine Be-
rater entwickelten das Schöffentum also nicht theoretisch im Elfenbeinturm,
sondern griffen lokale Entwicklungen auf und versuchten diese im gesamten
Frankenreich durchzusetzen. Wenn dieses Vorgehen als Einführen des Schöf-
fentums verstanden werden soll, stellt sich die Frage, wann Karl der Große das
Schöffentum einführte. Die ältere Forschung ging aufgrund der Belege in den
Urkunden der 780er und den Formulae Salicae Bignonianae davon aus, dass Karl
bereits sehr früh nach seinem Herrschaftsantritt die Gerichtsreform in Angriff
nahm.145 Die urkundliche Überlieferung zeigt jedoch für die Zeit Karls eher ein
Nebeneinander von Rachinburgen und Schöffen, vor allem für die Zeit vor 800.
Erst nach 800 wird in mehreren Kapitularien eine Initiative zur Durchsetzung
des Schöffenbegriffs sichtbar. Vorher deutet nichts auf eine gezielte Politik Karls
in diese Richtung hin, weshalb die sogenannte Gerichtsreform Karls wohl erst in
die Zeit nach der Kaiserkrönung fällt.146
Wenn in manchen Rechtslandschaften das Phänomen der Rachinburgen und
in anderen das der Schöffen vorkam, darf der Verwendung des Wortes Ra-
chinburgen im Königskapitular nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden. Es
würde zu weit führen, hier eine Gegenbewegung zum Aufkommen der Schöffen
zu sehen, da das Kapitular mit keiner Silbe auf die Charakteristika der Rachin-
burgen im Vergleich zu Schöffen eingeht, sondern lediglich die Terminologie der
Lex Salica verwendet. In den späteren Fassungen der Lex Salica ist schließlich
auch stets von Rachinburgen und nicht von Schöffen die Rede. Dies gilt, wie
schon angesprochen, sowohl für die D-Fassung aus der Zeit Pippins als auch für
die unter Karl dem Großen entstandenen Fassungen E und K.147
144 Auch Brunner — von Schwerin, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 300, räumen ohne Angabe von Quellen
die Möglichkeit ein, dass es zumindest in einigen Gegenden zu einer gewissen Stetigkeit der
Urteilfinderfunktion gekommen sein könnte, indem sich die Auswahl der Rachinburgen immer
mehr auf einen engen Personenkreis beschränkt habe.
145 Vgl. beispielsweise Brunner — von Schwerin, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 299f.
146 Die ältere Forschung geht hingegen teilweise von einem verlorenen Kapitular Karls aus, dass die
Gerichtsreform Karls inklusive der Einführung des Schöffentums um 769 oder zu Beginn der
770er angeordnet habe. Vgl. dazu beispielsweise Schröder — von Küneberg, Rechtsgeschichte,
S. 182; Estey, Meaning, S. 435; dens., Scabini, S. 119.
147 Lex Salica (D) 92, S. 230-232; Lex Salica (E) 92, S. 230-232; Lex Salica (K) 60, S. 523.
In der Handschrift D9 kam es zu einer Verwechslung von Hexendiener (hereburgio) und Ra-
chinburgen. Nehlsen, Aktualität, S. 466 f., überstrapaziert den Einzelfall jedoch, wenn er aus
einem Schreiberfehler den Schluss zieht, dass der Begriff der Rachinburgen zum Ende des
8. Jahrhunderts nicht mehr verstanden worden sei, weil die Lex Salica als aufgezeichnetes Recht
bis zur Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert keine wirksame Rolle in der Rechtspraxis gespielt
habe.
5. Rechtspflege
dass teilweise schon in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts zumindest bei ei-
nigen Gerichten Schöffen tätig waren, während die späten Belege für Rachin-
burgen auf der anderen Seite zeigen, dass am Ende des 8. Jahrhunderts noch
keine flächendeckende Umstellung erfolgt war.144 Karl der Große und seine Be-
rater entwickelten das Schöffentum also nicht theoretisch im Elfenbeinturm,
sondern griffen lokale Entwicklungen auf und versuchten diese im gesamten
Frankenreich durchzusetzen. Wenn dieses Vorgehen als Einführen des Schöf-
fentums verstanden werden soll, stellt sich die Frage, wann Karl der Große das
Schöffentum einführte. Die ältere Forschung ging aufgrund der Belege in den
Urkunden der 780er und den Formulae Salicae Bignonianae davon aus, dass Karl
bereits sehr früh nach seinem Herrschaftsantritt die Gerichtsreform in Angriff
nahm.145 Die urkundliche Überlieferung zeigt jedoch für die Zeit Karls eher ein
Nebeneinander von Rachinburgen und Schöffen, vor allem für die Zeit vor 800.
Erst nach 800 wird in mehreren Kapitularien eine Initiative zur Durchsetzung
des Schöffenbegriffs sichtbar. Vorher deutet nichts auf eine gezielte Politik Karls
in diese Richtung hin, weshalb die sogenannte Gerichtsreform Karls wohl erst in
die Zeit nach der Kaiserkrönung fällt.146
Wenn in manchen Rechtslandschaften das Phänomen der Rachinburgen und
in anderen das der Schöffen vorkam, darf der Verwendung des Wortes Ra-
chinburgen im Königskapitular nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden. Es
würde zu weit führen, hier eine Gegenbewegung zum Aufkommen der Schöffen
zu sehen, da das Kapitular mit keiner Silbe auf die Charakteristika der Rachin-
burgen im Vergleich zu Schöffen eingeht, sondern lediglich die Terminologie der
Lex Salica verwendet. In den späteren Fassungen der Lex Salica ist schließlich
auch stets von Rachinburgen und nicht von Schöffen die Rede. Dies gilt, wie
schon angesprochen, sowohl für die D-Fassung aus der Zeit Pippins als auch für
die unter Karl dem Großen entstandenen Fassungen E und K.147
144 Auch Brunner — von Schwerin, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 300, räumen ohne Angabe von Quellen
die Möglichkeit ein, dass es zumindest in einigen Gegenden zu einer gewissen Stetigkeit der
Urteilfinderfunktion gekommen sein könnte, indem sich die Auswahl der Rachinburgen immer
mehr auf einen engen Personenkreis beschränkt habe.
145 Vgl. beispielsweise Brunner — von Schwerin, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 299f.
146 Die ältere Forschung geht hingegen teilweise von einem verlorenen Kapitular Karls aus, dass die
Gerichtsreform Karls inklusive der Einführung des Schöffentums um 769 oder zu Beginn der
770er angeordnet habe. Vgl. dazu beispielsweise Schröder — von Küneberg, Rechtsgeschichte,
S. 182; Estey, Meaning, S. 435; dens., Scabini, S. 119.
147 Lex Salica (D) 92, S. 230-232; Lex Salica (E) 92, S. 230-232; Lex Salica (K) 60, S. 523.
In der Handschrift D9 kam es zu einer Verwechslung von Hexendiener (hereburgio) und Ra-
chinburgen. Nehlsen, Aktualität, S. 466 f., überstrapaziert den Einzelfall jedoch, wenn er aus
einem Schreiberfehler den Schluss zieht, dass der Begriff der Rachinburgen zum Ende des
8. Jahrhunderts nicht mehr verstanden worden sei, weil die Lex Salica als aufgezeichnetes Recht
bis zur Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert keine wirksame Rolle in der Rechtspraxis gespielt
habe.