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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0188
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5.3 Langobardische Vorbilder?

187

iudicassent Pippins gegenüberstellt,160 ist mehr als fraglich, ob es überhaupt um
die Korrektur eines Urteils geht. Ratchis erlaubte darin nämlich, dass jemand vor
ihn kommen dürfe, wenn er iustitiam non receperit. Diese Formulierung muss im
Kontext der ersten beiden Kapitel betrachtet werden. Das erste Kapitel be-
schäftigt sich ausführlich damit, dass Richter ihrer Pflicht, zu Gericht zu sitzen,
auch nachkommen sollen.161 Im Rahmen dessen klagt Ratchis ausdrücklich über
die zahlreichen Beschwerden über Richter, die seinen Hof erreichten.162 Unter
diesen Beschwerden scheinen gerechtfertigte und ungerechtfertigte gewesen zu
sein. Ratchis begegnet den ausufernden Beschwerden daher auf zweifache
Weise. Zum einen schärft er den Richtern ein, Gericht zu halten (Kapitel 1), und
zum anderen droht er denjenigen Strafen an, die sich ungerechtfertigt be-
schweren (Kapitel 2).163 Das Gesetz unterscheidet drei Voraussetzungen, unter
denen eine Beschwerde bestraft werden soll, und zwar wenn die entsprechende
Person erstens vorher überhaupt nicht zu ihrem Richter gegangen ist oder sie
zweitens das Urteil ihres Richters nicht annimmt oder sie drittens bereits ihre
iustitia (= Gerechtigkeit, Recht, Urteil) empfangen hat. Der gemeinsame Nenner
dieser drei Bedingungen ist, dass die Rechtsprechung beim Richter vor Ort durch
Verschulden des Beschwerdeführers keine Streitbeilegung herbeigeführt hat. Die
drei Bedingungen unterscheiden sich im Zeitpunkt, wann die Streitbeilegung
vor Ort scheitert, und sind mit Bezug auf das Gerichtsverfahren chronologisch
angeordnet: Erstens es kommt überhaupt nicht zu einem Gerichtsverfahren,
zweitens das Urteil des Gerichtsverfahrens wird nicht akzeptiert und drittens
nach dem Gerichtsverfahren und dem vorläufigen Akzeptieren von dessen
Ausgang wird das Urteil zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr akzeptiert.
Der Wortlaut von Ratchis' Gesetz ist holprig. Im Lateinischen sind die drei
Bedingungen jeweils mit et verbunden, doch kann et hier nicht mit der deutschen
Konjunktion „und" übersetzt werden, weil alle drei Bedingungen nicht gleich-
zeitig erfüllt sein können. In der obigen Interpretation wurden die beiden et
zwischen den drei Bedingungen jeweils mit „oder" übersetzt und die Aufzäh-
lung als eine Art Liste von Bedingungen verstanden, von denen eine erfüllt sein
muss, damit es zur Bestrafung kommt, aber auch nur genau eine erfüllt sein
kann. Dies scheint die behutsamste Lösung für dieses sprachliche Problem zu

160 Vgl. Seelmann, Rechtszug, S. 122.

161 Leges Ratchis regis c. 1, in: Leges Langobardorum, S. 183 f.

162 Leges Ratchis regis c. 1, in: Leges Langobardorum, S. 183 Z. 15-17: Quoniam iam teste Deo dicimus,
quia nee alicubi vel ad orationem possumus exire, aut ubicumque caballicare, propter reclamationes
multorum hominum.

163 Leges Ratchis regis c. 2, in: Leges Langobardorum, S. 184 Z. 11-20: Si quis vero arimannus aut
quislibet homo ad iudicem suum prius non ambulaverit, et iudicium de iudice suo non susceperit, et post
iustitiam suarn receptam sic venerit ad nos proclamare: conponat ad ipsum iudicem suum solidos quin-
quaginta. Prop terea precepimus omnibus, ut debeat revertere unusquisque causam habentem ad civitatem
suam ad iudicem suum, et nuntiare debeat causam suarn iudici suo; et si iustitiam non receperit, tune
veniat ad nostram presentiam. Nam si quis venire antea presumpserit, priusquam ad iudicem suum vadat,
qui habuerit, unde conponere: solidos quinquaginta, et qui non habuerit, unde conpositionem faciat,
iuvemus ut eum fustetur. Ideo volumus ut vadat unusquisque ad iudicem suum, et percipiat iudicium,
qualiter lex fuerit [Unterstreichungen vom Verfasser].
 
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