Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0209
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
208

5. Rechtspflege

genden Konflikten durchsetzen konnte, ist keine einzige Gerichtsurkunde eines
Merowingers mehr belegt.298 Wenn die karolingischen Hausmeierplacita an die
Stelle der merowingischen Königsplacita traten, kann das auf zwei Arten erklärt
werden. Entweder leitete der Hausmeier das Königsgericht oder das Hausmei-
ergericht war an die Stelle des Königsgerichts getreten.
Dass der Hausmeier das Königsgericht leitete, wird von Jürgen Weitzel ka-
tegorisch ausgeschlossen.299 Bei der Beurteilung der Situation vor 751 darf nicht
vergessen werden, dass Karl Martell 737 nach dem Tod König Theuderichs IV.
keinen neuen König eingesetzt hatte und es gut fünfeinhalb Jahre dauern sollte,
bis seine Söhne Pippin und Karlmann mit Childerich III. Anfang 743 den letzten
Merowingerkönig einsetzten. Dieser Zeitraum dürfte wohl kaum noch mit
Weitzels Formulierung vom abwesenden König gedeckt sein. Aus dieser Zeit
sind überhaupt keine Placita erhalten.300 Doch stellt sich die theoretische Frage,
ob es denkbar ist, dass ein Königsgericht im 8. Jahrhundert seine Arbeit fast sechs
königlose Jahre lang verrichten konnte? Oder setzt dies nicht zu abstrakte Vor-
stellungen von Königtum und Staatlichkeit voraus? Auf ganz pragmatischer
Ebene stellt sich die Frage, wem Karl Martell beziehungsweise Karlmann und
Pippin den Vorsitz des Königsgerichts hätten überlassen sollen. Denn dass der
Hausmeier sein eigenes Gericht gehabt habe, macht es für Weitzel unwahr-
scheinlich, dass er auch den Vorsitz im Königsgericht gehabt habe.
Aber stimmt die Prämisse von einem eigenen Hausmeiergericht überhaupt?
Weitzel verweist auf eine Urkunde Childeberts III., in der ein Urteil des Haus-
meiers Grimoald bestätigt wird.301 Es müsste also zu einem bestimmten Zeit-
punkt zwei Gerichte gegeben haben. Diese Urkunde Childeberts III. ist jedoch
der einzige Beleg für die gleichzeitige Existenz eines arnulfingischen Hausmeier-
und eines merowingischen Königsgerichts. Einziger Beleg bedeutet gleichzeitig
auch letzter Beleg. Die Urkunde wird in das Jahr 709 datiert, also in die Zeit, aus
der allein merowingische Königsplacita überliefert sind. Aus diesem singulären
Zeugnis Rückschlüsse auf die Zustände zwischen der Etablierung Karl Martells
und dem Dynastiewechsel zu ziehen, ist sehr gewagt. Das heißt, dass ein un-
abhängiges Hausmeiergericht für das zweite Viertel des 8. Jahrhunderts ei-
gentlich nicht belegbar ist.

298 Das jüngste Merowingerplacitum ist MGH D Merov. 167, Bd. 1, S. 415f. (7. März [716]). Das
älteste Hausmeierplacitum ist MGH D Arnulf. 10, S. 23-26 (Dezember 720). Vgl. dazu die
Übersicht bei Stieldorf, Placita, S. 23 f. Tabelle 1.

299 Vgl. Weitzel, Königsgericht, Sp. 44: „Den Vorsitz im Königsgericht hatte rechtlich stets der
König, auch der minderjährige und der möglicherweise abwesende. Faktisch mag der Pfalzgraf
ihn auch schon vor 751 vertreten haben. Doch schweigen dazu beredt die Quellen. Auch der
gelegentlich behauptete Vorsitz des Hausmeiers im Königsgericht ist nicht belegt und eher
unwahrscheinlich. Der Hausmeier hatte unter den merowingischen Scheinkönigen sein eigenes
Gericht."

300 Vgl. Stieldorf, Placita, S. 23 f. Tabelle 1.

301 Vgl. Weitzel, Königsgericht, Sp. 44. Es handelt sich um MGH D Merov. 157, S. 391-393. Die
entsprechende Urkunde Grimoalds wird von Heidrich als MGH DD Arnulf. Dep. 61, S. 95 f.
gefasst.
 
Annotationen