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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Editor]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Jecker, Gall: St. Pirmins Herkunft und Mission
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0068
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St. Pirmins Herkunft und Mission

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Streitigkeiten, die Not der unteren Volksschichten
und grausame Judenverfolgungen hatten das einst
so mächtige Reich geschwächt und zerrüttet. Ein
gewaltiger Sturm warf den morschen Bau im Juli
711 zu Boden. Der arabische Unterfeldherr Ta-
rik war mit ansehnlicher Truppenmacht über die
Meerenge von Gibraltar gesetzt. In der .sieben-
tägigen“ Schlacht beiXeres de la Frontera hatte er
der Westgoten Heer und Reich vernichtet und
in erstaunlicher Eile weite Gebiete der Halb-
insel unterworfen. Umsonst hatten sich die Chri-
sten bei Ecija nochmals zur Wehr gestellt. In
heftigem Kampfe wurden sie geworfen, Elvira
im Sturm genommen, Cordova durch einen Leib-
eigenen und Toledo durch einen Juden verraten.
Die höchsten Beamten des Reiches flohen in die
Gebirge Galiziens, der Erzbischof von Toledo
nach Rom.
Im folgenden Jahre (712) kam der nordafrika-
nische Statthalter Musa selbst mit einer neuen
Armee, um die letzten Städte zu bezwingen.
Lange hatte sich Sevilla gehalten, noch lebhaf-
teren Widerstand hatte Merida geleistet; doch
beide mußten sich ergeben. Im Herbst 713 war
das nordöstliche Spanien bis an die Pyrenäen
unter der Herrschaft der Muslim. Auch das
nordwestliche Spanien bekam bald das Schwert
des Siegers zu fühlen. Selbst die Bewohner der
unzugänglichen Randgebirge des Nordens waren
einen Augenblick kaum imstande, sich den überall
umherstreifenden Berberscharen zu widersetzen.
Schon 718 überschritten die gefürchteten Trup-
pen des wilden El-Horr die Pyrenäen und dehn-
ten ihre Raubzüge weit nach Norden aus. Nach
heftiger Gegenwehr fiel 720 Narbonne, dessen
tapfere Verteidiger in den Tod, die Frauen und
Kinder aber in die Knechtschaft gesandt wurden.
Erst im folgenden Jahre konnte Eudo, der Her-
zog von Aquitanien, ihrem Vordringen einige Zeit
Halt gebieten und ihnen vor Toulouse eine emp-
findliche Niederlage beibringen.

Vor diesen fremden Eroberern, welche es be-
sonders auf den Adel und die Geistlichen abge-
sehen hatten, flohen die Mönche und nahmen, so
gut es in der Eile gehen mochte, Reliquien, Bü-
cher und Kostbarkeiten mit sich. So dürften es
auch Pirmin und seine Gefährten gemacht haben.
Auf der Flucht vor den Feinden des Glaubens
werden sie zuerst Schutz in Aquitanien gesucht
haben, zogen dann aber weiter nach Austrasien,
wo Pirmin im Casteilum Melcis (Meltis) eine
Zeitlang ,tadellos des bischöflichen Amtes“ wal-
tete. Über den Ort dieses Bischofsitzes ist viel
geschrieben worden. Neuerdings glaubte D. G.
Morin auf Grund einer scharfsinnigen Unter-
suchung ihn in Melsbroeck, einst Meltburch bei
Brüssel, wiederentdeckt zu haben, während Bruno
Krusch mit neuen Argumenten auf Meaux hin-
wies, das die kirchliche Tradition seit Jahrhun-
derten als Bischofsitz Pirmins bezeichnet. Von
dort mochte er durch die Wiltzer Ardennen an
den Rhein und flußaufwärts an die anmutigen
Gestade des Bodensees gelangt sein, um auf einer
einsamen, ödliegenden Insel eines der berühmte-
sten Benediktinerklöster Europas zu gründen.
Für literarische Arbeiten war der Verfasser der
Dieta nicht ohne Verständnis. Wenn wir von
den vielen Fehlern absehen, die em nach Diktat
schreibender Kopist in der Einsiedler-Handschrift
gemacht, so erkennen wir im Verfasser dieser
Predigt einen klaren, denkenden Geist, der frische
Anschauung mit sinniger Betrachtung verbindet.
Wie konnte es anders sein? In seiner Heimat
war ja. das Studium in hohen Ehren gestanden.
In Dumio bei Braga wie in Agaglia bei Toledo,
in Caulium bei Merida und in Servitum bei Car-
tagena wie in Biclaro bei Tarragona hatten Klo-
sterschulen geblüht, und mit den Nachkommen
des alten Roms hatten hier die Goten im Stu-
dium der Wissenschaften den Wettkampf auf ge-
nommen. Die Könige Sisebut, Rekkesvind und
Wamba waren stolz auf ihre literarischen Kennt-

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