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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Editor]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Jecker, Gall: St. Pirmins Herkunft und Mission
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0069
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Gall Jecker

nisse; Braulio, der gelehrte Bischof von Sara-
gossa, pflegte wissenschaftlichen Briefwechsel mit
zwei Königen und fünf oder sechs Goten aus den
ersten Familien des Landes. Während in Spanien
die Schulen verfielen und die Musen durch den
Lärm der Waffen und das Elend des Alltags
zum Schweigen gebracht wurden, fanden Pirmins
Anregungen em fruchtbares Erdreich an den Ufern
des Rheins.
Die Abtei Reichenau wurde zur ersten Bildungs-
stätte Alemanmens. Sie wurde selbst zur Lehr-
meisterin des später noch berühmteren St. Gallen.
Noch heute aber zeugen die Reichenauer Hand-
schriften nicht nur von der wissenschaftlichen
Regsamkeit der Pirminsklöster, sondern auch von
einem starken Einfluß spanischer Schriften und
Anschauungen, einer Tatsache, die erst recht ver-

standen wird, seitdem wir in Spanien Pirmins
Heimat erkannt haben.
In den Jahren tiefster Erniedrigung seines Vater-
landes hat Pirmin, der Apostel christlicher Kul-
tur, in unseren Landen eine neue Heimat gefun-
den. Die Beziehungen, welche Pirmin zwischen
Alemanmen und der Iberischen Halbinsel ge-
schaffen hatten, finden für uns Spätgeborene ein
wohltuendes Echo in der Sympathie, die seine
spanischen Volksgenossen dem deutschen Volke
in seinen schwersten Zeiten bewiesen haben. Es
trifft sich merkwürdig, daß eben in dem Jahre die
spanischen Benediktiner das Andenken eines deut-
schen Kaisers, Heinrichs II., feiern, wo wir ihrem
Landsmann, dem hl. Pirmin, unsere Verehrung
entgegenbringen.

LITERARISCHE NOTIZ:

Die Quellen zur Pirminsfrage bestehen aus drei Viten, von denen
nur die erste einen bescheidenen historischen Wert besitzt. (Aus-
gaben siehe weiter unten.) Dazu kommen die Urkunde von Karl
Märtel für Reichenau (s. oben Brandi); jene von Theuderich IV.,
Widegern und Eberhard für Murbach in Pardessus, Diplomata 2
(1849), 351—57, 363 f.; die von Heddo für Schwarzach in Par-
dessus 2, 408—11; ferner die Grabschrift des Hrabanus Maurus und
die Visio Wettini, Vers 27—30, von Walahfrid Strabo in MG Poet,
lat. 2 (1884), 224 f., 304; nebst den kurzen Angaben des Reichenauer
Verbrüderungsbuches in MG Libri confrat. (1884) 169 und der Abts-
kataloge in MG Scr. 2 (1828), 37, zuletzt noch die wertvollen annali-
stischen Nachrichten Hermanns des Lahmen zu den Jahren 724 und
731 in MG Scr. 5 (1844), 98. Die Grundlage des vorliegenden Bei-
trages bietet Pirminii Scarapsus, herausg. von C. P. Caspari, Kirchen-
hist. Anekdota (1883) 151—93.
In der Literatur kommt zeitlich zuerst auf St. Pirmin zu sprechen
Trithemius, welcher 1515 in seinem Compendium annalium Fran-
corum Pirmin als Mönch von Glanfeuil betrachtet. Im Jahre 1616 gab
B r o w e r zuerst die jüngere Vita heraus in Sidera illustrium virorum
Germaniae, 3. Heft. 1655 behandelte Pirmins Geschichte G. Buce-
linus in Menologium Benedictinum S. 753 f. Eigentlich der erste
Forscher von Bedeutung, der sich mit Pirmin beschäftigte, war Ma-
b i 1 1 o n. 1672 gab er die jüngere Vita nach Brower und einer
Pariser Hs. mit einer Einleitung heraus in den Acta Sanctorum
O. S. B. 3, 2, 140—53; 1685 veröffentlichte er erstmals den Sca-
rapsus in den Vetera analecta 4 App. 569—601; 1704 kam er
wiederholt auf Pirmin zurück in den Annales O. S. B. 2, 73 ff., 92 ff.;
er hielt, wie schon gesagt, Pirmin für e nen Gallof ranken (Gallier).
Ihm pflichteten im letzten Jahrhundert noch bei Rettberg, KG Ds 2
(1848) 57, Wiegand, Allg. deutsche Biogr. 26 (1888), 179 u. a.
Aber schon seit Eckhard, Franc. Orient. 1 (1729), 666 gilt Pirmin
vielfach als Ire, so bei Schöpflin, Alsatia diplomatica 1
(1772), 9; Pertz, MG Scr. 1 (1826), 9 und 2 (1828), 78, Anm. 7;
auch bei M o n e, der 1847 erstmals die ältere Vita und die Vita

metrica in der Quellensammlung z. bad. Landesgesch. 1, 30—36 und
39—45 he rausgab, und außer zahlreichen andern zuletzt noch beim
Bollandisten C. de S m e d t , welcher 1894 nach einer gründlichen
Einleitung im 2. Novemberband der Acta Sanctorum die beste und
bequemste Ausgabe der Viten Pirmins und der darauf bezüglichen
Akten geboten hat. Diejenigen, welche Pirmin als einen angel-
sächsischen Glaubensboten betrachten, äußern sich mit einer
gewissen Reserve, so Malnory, Quid Luxovienses monachi (1894)
53; Hauck, KG Ds. 1 (1914), 347 und Sauer, Die Anfänge
des Christentums in Baden (1911) 58; ganz sicher scheint zu sein
v. Schubert, Gesch. d. christl. Kirche im Frühmittelalter (1921)
293. W eiche r ding, Der St. Pirminsberg und der hl. Pirmin
(1875), der Pirmins Heimat bei den Dänen suchte, fand keinen Bei-
fall. Indes hat der scharfsinnige D. G. Morin Pirmins ursprüng-
liche Namensform und romanische Abstammung klargelegt in der
Revue Charlemagne I (1911), 1—9 und 72—74. Die Möglichkeit spa-
nischer Herkunft Pirmins äußerte zuerst in einer kleinen Bemerkung
der berühmte Patristiker G a 1 1 a n d i , Bibi. vet. patrum 13 (1779),
X, dann mit mehr Nachdruck Traube in der paläogr. Einleitung zu
G. Gröbers philolog. Untersuchung des ältesten rätoromanischen Sprach-
denkmals, Münchner Sitzungsber. Phil.-hist. Klasse (1997) 72—74,
und zuletzt mit gewichtigen Gründen D. J. Perez im Boletin de la
Real Academia de la Historia 77 (Madrid 1920), 135—50. Offen-
bar spanische Einflüsse in den Reichenauer Hss. deckte K. Künstle
auf in seinen dogmengeschichtlichen Werken: Eine Bibliothek der
Symbole (1900), Antipriscillianista (1905), Das Comma Joanneum
(1905). Den Stand der Frage hatte 1892 im kirchenhistorischen
Seminar von Tübingen übersichtlich dargelegt J. Meier, jetzt Stadt-
pfarrer von Bremgarten (Schweiz).
Diese wesentlichen Angaben dürften genügen. Fachleute werden die
Frage demnächst in „Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums
und des Benediktinerordens“ (Aschendorff, Münster) mit reichen Li-
teraturangaben behandelt finden.
 
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