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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

DOI Kapitel:
Leben und Verfassung der Reichsabtei
DOI Artikel:
Göller, Emil: Die Reichenau als römisches Kloster
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0504
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Die Reichenau als römisches Kloster

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in der kürzeren Fassung der entsprechenden Pn-
vilegienformel des römischen Liber diurnus nicht
mehr in Frage steht. Im Lib er diurnus selbst war
der Begriff der Exemtion durch den Satz klar-
gestellt: ,ut sub iurisdictione sancte nostre ec-
clesie constitutum nullius alterius ecclesie iuris-
dictionibus submittatur . Diese älteren Exemtions-
privilegien haben freilich nicht immer vollen Be-
stand gehabt, wie die späteren Modifikationen
des Fuldaer Privilegs zeigen. Aber der Weg zu
einer neuen Entwicklung war gebahnt. Sie er-
hielt einen weiteren Anstoß durch das seit dem
9. Jahrhundert hervortretende Institut des päpst-
lichen Schutzes, das mit dem Ende des 11. Jahr-
hunderts unter dem Einfluß der kirchlichen Re-
formbewegung erhöhte Bedeutung gewann und
bereits unter Innocenz II. in umfassender Weise
zur Auswirkung gelangte. Im Zusammenhang da-
mit steht die nun einsetzende Exemtion zahl-
reicher Klöster und schließlich ganzer Gruppen.
Entsprechend dem gewaltigen Aufstieg des Papst-
tums seit dem Investiturstreit diente diese dem
Gedanken der kirchlichen Zentralisation, gekenn-
zeichnet vor allem durch den neuen Begriff ,nullo
mediante . Mit seiner Spitze gegen die weltlichen
Einflüsse erhielt sie zugleich für die Entfaltung
der primatialen Idee des Papsttums die größte
Bedeutung.
Die Geschichte des päpstlichen Schutzes und der
Exemtion in ihrem gegenseitigen Verhältnis, die
Frage nach der Bedeutung des Rekognitionszinses
für die Unterscheidung von exemten und nicht
exemten Anstalten sowie eine Reihe damit zu-
sammenhängender Probleme sind seit den Vor-
studien P. Fabres zum Liber censuum Gegen-
stand wiederholter wissenschaftlicher Behandlung
gewesen. Aber weder Fabre noch Blumenstock,
weder Weiß noch Hüfner haben hier völlig deut-
lich gesehen. Erst die Untersuchungen von G.
Schreiber5) haben, vor allem auch zur Aufhel-
lung der mit dem Problem verbundenen Begriffe,

in den Einzelheiten wie in den Zusammenhängen
größere Klärung gebracht. Seme Ergebnisse bil-
den auf weite Strecken eine feste Grundlage,
wenn auch in einzelnen Punkten, wie die spä-
tere Forschung6) gezeigt hat, noch Abstriche zu
machen sind. Letzteres gilt auch von dem Be-
griff des päpstlichen Eigenklosters. Denn daß
das durch die Kommendation und Tradition der
betreffenden Anstalt begründete Verhältnis zur
römischen Kirche als em ausgesprochen privat-
rechtliches bezeichnet werden kann, scheint doch,
nicht zuletzt auch vom Standpunkt der Theorien
über das Eigentumsrecht am Kirchengut, aus ver-
schiedenen Gründen nicht zuzutreffen, so sehr
auch einzelne damit zusammenhängende Aus-
drücke in den Urkunden jene Auffassung begün-
stigen. Erst recht gilt dies von den im Liber
censuum verzeichneten Reichsklöstern, zu denen
auch unser Reichenau gehört.
Fassen wir die Stellung Reichenaus zum
Päpstlichen Stuhle ms Auge. Nach den
vorliegenden Zeugnissen, die im Anschluß an
Brandl zuletzt Brackmann7) zusammengestellt
hat, erfreute sich das Kloster schon im Früh-
mittelalter einer päpstlichen Privilegierung. Zwar
bieten die uns textlich noch erhaltenen späteren
Privilegien Johanns XIX. und Innocenz’ III.,
ersteres allerdings nur in der deutschen Über-
lieferung des Gallus Oheim, keine in allen Punk-
ten gesicherte Grundlage. Sie stimmen in der
Aufzählung der Namen der privilegierenden
Päpste, die sich zudem in zwei Fällen nicht ge-
nau feststellen lassen, nicht miteinander überein.
Aber sie scheinen doch, wie das Zeugnis Her-
manns d. L. zeigt, im allgemeinen auf einer guten
Reichenauer Überlieferung zu beruhen. Aus ihr
sind sie offenbar m die jeweils an den Papst
gerichtete Petition übernommen worden, wenn
auch im einzelnen Zweifel bestehen bleiben. Jo-
hann XIX. beginnt seine Liste mit Papst For-
mosus, Innocenz III., der diesen nicht erwähnt,
 
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