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Zweites Kapitel.

ist total verschieden von jener ernsten, düstern oder doch immer gewal-
tigen Fläche, die ihre langen Wogen gegen das flache Gestade der
Nordseeländer wälzt. Vor uns liegen eine Reihe kleiner Felseninseln,
Ratoneau, Pomaigne, Chateau d'Jf, weiter die Spitze von Maire,
westlich Ste. Croix. Nach der Rhone zu fällt die Bergreihe sanfter
ab und eine Reihe der schönsten Villen ist dort am Gestade gelagert;
nach Osten treten um so schärfer die grauen dürren aber von den wür-
zigsten Kräutern überkleideten Felsmafsen in die See. Selten betritt
eiw menschlicher Fuß diese Höhen, aber in ihren Schluchten rauchen
die Schlote thätiger Vitriol - und Soda-Fabriken. Und ihren Fuß
steigen mühsame, künstlich bewässerte Gartenanlagen hinauf, in dicht-
verwachsene, vom Wind niedrig gehaltene Pinienwäldchen sich auflö-
send, welche selbst daun dem Cytisusstrauch, dem Thymian und Ros-
marin Platz machen. Ich habe einen Nachmittag, geführt von einem
erfahrenen Alpensteiger, dort in dieser wahrhaft großartigen Einöde
mit dem Blicke auf das rege Leben der fast übervölkerten Ebene und
wieder auf das von Schiffen belebte Meer zugebracht, und werde die-
sen Eindruck nie vergessen. Unmittelbar aber hinter und über uns
erhebt sich der Fels mit der uralten Kirche Notredame de la Garde, die
von Bastionen des Forts jetzt überbaut ist. Da waltet die verehrte
Schutzgöttin der Schiffer; noch öfter am provencalischen Gestade be-
gegnet sie uns, die Herrin der Warten, zu der der Seemann gläubig
Gebet und Gelübde sendet.
Während das leibliche Auge an dem weiten Panorama der Ge-
gend sich allmählich orientirt, lassen wir hier vor unser geistiges in
engem Rahmen das geschichtliche Bild zusammendrängen, das auf die-
sem Hintergründe aus nicht unbeträchtlichen, schriftlichen Überlieferun-
gen, aus einer freilich noch nie mit Ernst unternommenen Übersicht
der zerstreuten Denkmale der Kunst und des Verkehrs sich gruppiren läßt.
Selten wird eine Küftenstrecke durch ihre Naturbedingungen so
prädestinirt seyn zu einer bedeutenden menschlichen Anlage, die den Ver-
kehr eines großen Binnenlandes mit den überseeischen, weiten und be-
nachbarten Ländern vermittele, und zugleich als wichtige Zwischen-
station an einer lang gestreckten Küste eines in sich ziemlich abgeschlos-
senen Meeres diene, als gerade dieser Theil der provenealischen Küste.
 
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