Marseille: Wanderung zur See, Rundblick von T^te de More. ZZ
niedrigsten Arbeiten ihr Brod sich zu verdienen und besonders den
deutschen Namen zur Bezeichnung jeder Armuth, jeder Bettelei zu stem-
peln, bald eine neue Anwerbung zur Fremdenlegion, darunter wohl
so mancher, der in Verzweiflung auf ein jüngst verlassenes Glück, auf
glänzende Lebensverhältnisse zurückblickt, die er in einem eitlen Wahne
von sich geworfen hat, wie ich einen sehr ergreifenden Fall aus dem
Munde des dortigen deutschen Pfarrers hörte. Heiter und wohlgemuth
wartet der Chasseur d'Afrique, der mit uns auf der Eisenbahn ange-
kommen, des rauchenden Dampfschiffes, das zu Mittag seiue Anker
lichten soll. Araber wandeln im weißen Burnus hier am europäischen
Strande, leicht das Französische erlernend fühlen sie sich nicht unbe-
haglich an dieser Stätte, wo ihre Vorahnen einst als Eroberer ge-
herrscht und in Sitte und Namen, in Sage, ja auch in Schriftzügen,
so auf einem Steindenkmale zu Aix, zahlreiche Spuren hinterlassen ha-
ben. Ich traf einen arabischen Jnngen in Cette, der eben in die Hei-
math zu dem wandernden Zelte zurückkehrte, er hatte eine kleine Sottise
gemacht, wie er meinte, und war dafür in das Gefängniß zu Mont-
pellier gesteckt worden, er verließ es nun geläufig französisch sprechend.
Unter diesen und ähnlichen Begegnungen kommen wir unvermerkt
den Hafen entlang, an Magazinen vorüber, über Nebencanäle, die
in kleinere Bassins, so den bedeutendsten du Carenage, müuden.
Schon läßt die Brandung sich vernehmlich hören, zwei Felsenmassen
verengen von beiden Seiten den Hafen, rings sind sie mit Mauern
umgeben, erhöht und geglättet. Aus der Felsencaserue vom Fort St.
Jean tönt uns lustige Hornmusik über das Wasser, während wir un-
ter St. Nicola dem schmalen Pfade zur Tete de More folgen. Noch
wenige Schritte und wir stehen an der vordersten Spitze des felsigen
Vorsprungs und überblicken nun auf einmal die weite, herrliche Bucht,
in deren Hintergründe Massalia sicher ruht. Ich sah wenige Wochen
vorher die Nordsee von den Molen Ostende's und so hat sich der Ein-
druck des nördlichen und südlichen Meeres scharf neben einander gestellt.
Diese Bläue und Durchsichtigkeit, dieser kurze, muntere Wellenschlag,
diese Verwandtschaft gleichsam, die das Wasser mit dem klippenrei-
chen, schroffen Ufer, mit den zackigen dunkeln Felseneilanden, um die
es schäumend spritzt, an der ganzen Küste des Mittelmeeres eingeht,
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niedrigsten Arbeiten ihr Brod sich zu verdienen und besonders den
deutschen Namen zur Bezeichnung jeder Armuth, jeder Bettelei zu stem-
peln, bald eine neue Anwerbung zur Fremdenlegion, darunter wohl
so mancher, der in Verzweiflung auf ein jüngst verlassenes Glück, auf
glänzende Lebensverhältnisse zurückblickt, die er in einem eitlen Wahne
von sich geworfen hat, wie ich einen sehr ergreifenden Fall aus dem
Munde des dortigen deutschen Pfarrers hörte. Heiter und wohlgemuth
wartet der Chasseur d'Afrique, der mit uns auf der Eisenbahn ange-
kommen, des rauchenden Dampfschiffes, das zu Mittag seiue Anker
lichten soll. Araber wandeln im weißen Burnus hier am europäischen
Strande, leicht das Französische erlernend fühlen sie sich nicht unbe-
haglich an dieser Stätte, wo ihre Vorahnen einst als Eroberer ge-
herrscht und in Sitte und Namen, in Sage, ja auch in Schriftzügen,
so auf einem Steindenkmale zu Aix, zahlreiche Spuren hinterlassen ha-
ben. Ich traf einen arabischen Jnngen in Cette, der eben in die Hei-
math zu dem wandernden Zelte zurückkehrte, er hatte eine kleine Sottise
gemacht, wie er meinte, und war dafür in das Gefängniß zu Mont-
pellier gesteckt worden, er verließ es nun geläufig französisch sprechend.
Unter diesen und ähnlichen Begegnungen kommen wir unvermerkt
den Hafen entlang, an Magazinen vorüber, über Nebencanäle, die
in kleinere Bassins, so den bedeutendsten du Carenage, müuden.
Schon läßt die Brandung sich vernehmlich hören, zwei Felsenmassen
verengen von beiden Seiten den Hafen, rings sind sie mit Mauern
umgeben, erhöht und geglättet. Aus der Felsencaserue vom Fort St.
Jean tönt uns lustige Hornmusik über das Wasser, während wir un-
ter St. Nicola dem schmalen Pfade zur Tete de More folgen. Noch
wenige Schritte und wir stehen an der vordersten Spitze des felsigen
Vorsprungs und überblicken nun auf einmal die weite, herrliche Bucht,
in deren Hintergründe Massalia sicher ruht. Ich sah wenige Wochen
vorher die Nordsee von den Molen Ostende's und so hat sich der Ein-
druck des nördlichen und südlichen Meeres scharf neben einander gestellt.
Diese Bläue und Durchsichtigkeit, dieser kurze, muntere Wellenschlag,
diese Verwandtschaft gleichsam, die das Wasser mit dem klippenrei-
chen, schroffen Ufer, mit den zackigen dunkeln Felseneilanden, um die
es schäumend spritzt, an der ganzen Küste des Mittelmeeres eingeht,
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