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LS sich mir im Sommer 1911 die Gelegenheit bot, in der Jubiläumsausstellung im Castel


11 St. Angelo in Rom eine im Laufe vieler Jahre vereinigte Sammlung von Bildnissen
Michelangelos zu zeigen, war ich der Hoffnung, den kritischen Katalog zu diesen Bildern
in Jahresfrist herausgeben zu können.
Es ist nicht nur die allzumenschliche Abneigung vor letzten Entschließungen gewesen,
die den Abschluß des Begonnenen verzögert hat. Zu dem Bestreben durch eigenes Sehen
in den Sammlungen Deutschlands, Englands, Frankreichs und Italiens wo es anging, ein
eigenes Urteil zu gewinnen, gesellte sich der Wunsch, nach Möglichkeit Vollständiges und
Abschließendes zu bieten. Es schien auch Pflicht, in einem Meer von Irrtümern immer
wieder die Netze auszuwerfen, um vielleicht noch ein Fischlein Wahrheit einzufangen.
Denn das darf ohne weiteres behauptet werden, daß über die Porträtdarstellungen
Michelangelos weniges geschrieben worden ist, was der Bedeutung des Gegenstandes ent-
sprochen hätte, vieles dagegen, was die geschärfte Kritik auf Grund geläuterter Erkenntnis
als völlig wertlos ablehnen muß.
Der Grund für diese Erscheinung ist darin zu suchen, daß Neubestimmungen und Ent-
deckungen fast niemals auf der Basis wirklicher Sachkenntnis und Beherrschung des ganzen
Stoffgebietes beruhten, ja, daß für zuverlässige Einzelbeobachtungen die notwendigen Vor-
aussetzungen überhaupt noch nicht vorhanden waren.
Diese Grundlage zu schaffen und so für ein reineres Erkennen die Vorbedingungen zu
bieten, ist der Zweck der vorliegenden Arbeit. Es wurde ausserdem versucht, das gesamte
Material in ein organisches Gefüge zusammenzuschließen, das Gestaltlose zu ordnen und
das Getrennte in feste Gruppen zu vereinigen. Erst jetzt, nachdem die vollständige Samm-
lung vorliegt und sich dem Auge auch gesichtet darstellt, kann eine besonnene Kritik ihr
Werk beginnen.
Freilich wäre es vermessen, behaupten zu wollen, daß selbst in so engen Grenzen das
angestrebte Ziel ganz erreicht worden wäre. Neue Michelangelo-Porträts werden wohl
sicherlich noch gefunden werden, unsere Kenntnisse werden sich erweitern, unser Urteil
wird sich klären, und manchen Irrtum wird die Wahrheit noch verdrängen. Ja, dieErfahrung
lehrt, daß häufig die wertvollsten Beobachtungen erst dann gemacht werden, wenn das
Stoffliche gleichsam überwunden ist und nur noch das Problem als solches die Aufmerk-
samkeit fesselt. Aber es dürfte in Zukunft nicht schwer fallen, in die behutsam gefügte
Kette nun auch die fehlenden Glieder einzuordnen.
Bei der ersten Publikation des Gemäldezyklus der Casa Buonarroti nach den Original-
aufnahmen von Alinari in Florenz schien es geboten, sich im Kommentar ganz auf Erörte-
rungen über das rein Gegenständliche zu beschränken. Für eine gerechte künstlerische
Würdigung dieser heute noch fast unbekannten Florentiner Maler muß die Zeit noch
kommen.
Michelangelo selbst verlangte von einem fertigen Kunstwerk, daß es die Spuren seines
qualvollen Werdeprozesses völlig abgestreift haben solle. So ziemt es sich auch hier zu
schweigen von den Anstrengungen, die gemacht werden mußten, aus öffentlichen und pri-
vaten Sammlungen so weit Zerstreutes zu vereinigen. Noch weniger aber scheint es not-
wendig, mit erhobenem Finger auf das mancherlei Neue hinzuweisen, was diese Arbeit
dem Leser vermitteln wird. Indem ich die mühsam gesammelten und teilweise unedierten
Schätze in der Engelsburg ausstellte und dem Baron du Teil, der gleichzeitig mit mir über
die Porträtdarstellungen Michelangelos arbeitete, einen Teil meines Materials zur Verfügung

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