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Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0019
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Warum hat Tizian das Porträt Aretinos und nicht das Bildnis Michelangelos gemalt?
Warum hat sich in der Blütezeit moderner Kunst kein Pinsel oder Meißel gefunden, der
uns ein wirklich großes Bild des größten Meisters geschaffen hätte? Denn so zwiespältig
auch die Meinungen über die Namen der Künstler sind, die Michelangelo zu porträtieren
versucht haben, soweit die Ansichten auch auseinandergehen über die Qualität dieser
Bildwerke — darin sind doch alle eines Sinnes daß der große Buonarroti niemals so
dargestellt worden ist, wie es der Höhe der Kunstübung jener Zeit und wie es seiner
eigenen Größe entsprochen haben würde.
»Jeder Künstler malt sich selbst am besten«, hat Michelangelo einmal behauptet^, aber
an sich selbst hat er die Wahrheit dieses Spruches nie erprobt. Auch darin ganz ein an-
derer als die anderen, auch darin ganz von jener naiven Freude am eigenen Ich, von jenem
Glück gesunden Selbstbewußtseins abgewandt, daß seinen besten Zeitgenossen eigen-
tümlich war. Wimmeln nicht alle die großen Freskenzyklen, die in jenen Tagen entstanden
sind, von den Bildnissen bedeutender Männer und Frauen? Beschwört nicht selbst ein
Leon Battista Alberti die Maler seiner Zeit, sie möchten als Dank für seine Mühen in
ihren Historien sein Bildnis anbringen1 2)? Ist nicht die Reihe der erhaltenen Künstlerporträts
aus jenen Tagen, wie sie in den Uffizien bewahrt wird, eine fast vollständige Illustration
der eigenen künstlerischen Fähigkeiten der Dargestellten3)? Aber Michelangelos Züge
waren schon früh durch jenen Faustschlag ins Gesicht entstellt worden, mit welchem
Torrigiani eine herbe Kritik seiner Arbeiten gerächt haben soll. Er, dem der Kult der
Schönheit Religion bedeutete, er mußte den Anblick des eigenen Gesichtes hassen, das
eine Frevlerhand für immer mit dem Mal eines brutalen Gewaltaktes gezeichnet hatte.
Und aus dieser frühen Erfahrung, deren Bitterkeit wir heute nur zu ahnen vermögen,
ist wahrscheinlich die Abneigung Michelangelos gegen das Porträt überhaupt zu erklären.
Zwar hat er über dem Eingang von San Petronio in Bologna die Bronzestatue Julius II.
aufgestellt4), er ließ über den Denkmälern der Medici die Statuen des Giuliano und des
Lorenzo thronen, er hat mit eigener Hand das Bildnis des Tommaso Cavalieri gezeichnet
und nach dem Zeugnis Vasaris sogar dem Nicodemus in der Pieta des Florentiner Doms
die eigenen Züge verliehen5). Aber wird nicht auf alle vier Porträtdarstellungen mehr oder
weniger das Urteil anzuwenden sein, das Nicolo Martelli, ein Freund und Zeitgenosse
1) Vasari ed. Milanesi. VII, 280.
2) Jacob Burckhardt, Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien. Basel 1898, p. 171. Vgl. auch ebenda p. 102 was der
Humanist Codro Urceo in seinen Vorlesungen mitteilt: »Die Neider deuten ihm alles übel; bewundert und rühmt er einen
Maler so läßt der Verleumder auch das nicht unberührt und flüstert: Codrus rühme den Meister nur, um durch denselben
auf eine Tafel kostenfrei gemalt zu werden.«
3) E. F. Hill hat die Porträtmedaillen italienischer Künstler in einem stattlichen Bande vereinigt: Portrait medals of
Italian artists of the Renaissance, London 1912. Vgl. auch die Verse des Gio. Batt. Caselli, die er dichtete, als er die eigene
Medaille schuf. Bolzenthal, Skizzen zur Kunstgeschichte der modernen Medaillenarbeit. Berlin 1840, p. 104.
4) Auch die von Nerino Ferri entdeckte Zeichnung Michelangelos in den Uffizien stellt möglicherweise Julius II. im
spätesten Lebensalter dar. Vgl. E. Jacobsen und Nerino Ferri, Neuentdeckte Michelangelo-Zeichnungen in den Uffizien
zu Florenz. Leipzig 1905. Taf. III. Ein besonders anmutiges Frauenporträt — wahrscheinlich nach dem Modell gezeichnet —
bewahrt das British Museum. Vgl. Frey, Die Handzeichnungen Michelagniolos. Berlin 1911. Taf. 185. Aber was bedeuten
diese armseligen Porträtfragmente in dem ungeheuren Lebenswerk des Meisters?
5) »Un vecchio, ehe egli ritrasse se«. Vasari ed. Milanesi VIII, 377. Daelli, Carte Michelangiolesche inedite. Milano 1865,
p. 55. Über Michelangelo als Porträtmaler handelt ausführlich D. Moreni, Illustrazione di una medaglia rappresentante
Bindo Altoviti. Firenze 1824, p. 92 etc. Vgl. auch Baldinucci, Notizie de’ Professori etc. ed. Piacenza. Torino 1813. III,
98 und 116. Auch Lorenzo Bernini hat Michelangelos Abneigung gegen die Porträtmalerei wiederholt bezeugt. Vgl. M. de
Chantelou, Journal du voyage du Cavalier Bernin en France, ed. Lalane. Paris, Gazette des Beaux Arts 1885, p. 94 u. in.

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