Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0026
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wenige Tage vor seinem Tode war er nicht abzuhalten, das Pferdchen zu besteigen, das
er im Stall in seinem Hause hattet
Ansehn und Umgebung dieses Hauses hat der Greis selbst in gebundener Rede
beschrieben, die nur allzu drastisch die trübe Enge seines Heims und die schauervollen
Gebrechen des Alters schildert1 2). Die erste Beschreibung seines Ichs, die wir kennen,
hat uns Michelangelo also selbst gegeben3) 4 5 6, als er die Siebenziger bereits überschritten hatte.
Wenn man sie liest muß man zugeben, daß der große Künstler keine Eitelkeit besaß:
»Man sollte mich nur sehn in meiner Hütte zwischen all diesen glänzenden Palästen«,
schreibt er. »Die Flamme der Liebe ist längst in meiner Brust erloschen; denn der größere
Schmerz pflegt den geringeren zu vertreiben, und meine Seele hat auch keine Flügel mehr
zu fliegen. Meine Stimme gleicht dem Brummen einer Wespe, die sich in einem Glas ge-
fangen hat. Ich bin nichts anderes mehr als ein Sack von Haut, der mit Knochen und
Sehnen gefüllt ist, und drei Steine habe ich in meinen Eingeweiden4). Meine Augen gleichen
nur noch einem verschwommenen, zerriebenen Blau. Meine Zähne sind wie die Tasten
eines Instrumentes, das Geräusch macht oder schweigt, je nach dem man es bewegt oder
in Ruhe läßt. Mein Gesicht sieht aus wie der Schrecken selbst, und meine Kleider sind
noch gerade gut genug als Vogelscheuche auf Saatfeldern zu dienen5). In einem Ohr brütet
eine Spinne, in dem andern saust es als wenn die ganze Nacht eine Grille sänge.« Aber
dieser bitter sarkastische Hohn auf das eigene Alter klingt versöhnend in schwermutsvoller
Klage aus:
Gepries’ne Kunst, die einst mich groß gemacht,
Sie hat mich nun zu diesem Ziel gebracht.
Arm, alt, ein Sklave fremder Urgewalten
Ruf ich den Tod, das Leben zu erhalten.
Dieser eigenen abschreckenden Beschreibung seines Ichs, die uns Michelangelo statt
eines Selbstporträts hinterlassen hat, ziemt es sich sofort Tribolos kurze Charakteristik
gegenüberzustellen:»ein großer stattlicher Mann, schön, mit einem vollen Bart6).« Übrigens
hat auch Buonarroti selbst über die Art, wie das Alter ihm begegnete, je nach Umständen
und Stimmungen in seinen Briefen freundlicher geurteilt, als in seinen Versen. Im Jahre
1545 hatte er eine schwere Krankheit zu überwinden. Im Jahre i 547 schrieb er an Luca
Martini: »Ich bin alt, und der Tod hat mir die Gedanken der Jugend genommen; und wer
nicht weiß, was das Alter ist, der habe nur Geduld zu warten bis er hingelangt. Vorher
kann er es nicht wissen«7). In den nächsten Jahren quälte Michelangelo jenes Steinleiden;
1) Vgl. Vasari VII, 228, 235, 271. Cellini ed. Bacci p. 58. Daelli a. a. O. p. 34.
2) Dichtungen ed. Frey p. 86 und p. 375. Frey hat die Entstehungszeit dieser Verse vermutungsweise in die Jahre
1546—1550 gesetzt. Jedenfalls können sie nicht später entstanden sein. Guasti, Rime p. 295/6 hat die ziemlich holperige
Poesie in verständlichere Prosa aufgelöst.
3) Sehr wenig vorteilhaft ist auch die Beschreibung, die Michelangelo von sich selbst nach der Vollendung der Sixtina-
Decke gemacht hat. Sie zeigt uns, daß der Meister schon damals einen Vollbart trug. Frey, Dichtungen p. 7 und p. 307.
4) Anspielung auf das Steinleiden, von dem ihn sein Arzt Realdo Colombo befreite. Vgl. Frey a. a. O. 375.
5) Als Michelangelo einem Bekannten begegnete, der sich sehr geputzt hatte, tat er erst als kenne er ihn nicht. An-
geredet sagte er nur: »Drinnen wie draußen?—gut für Eure Seele«! (Vasari VII, 279.) Aber seinem Neffen Lionardo
sandte er Geld ehe er nach Rom kam, damit er sich anständig kleide: »ehe tu non venga qua com’ una bestia«. Milanesi,
Lettere p. 167.
6) Notiz aus dem Schedario Gargani-Follini in der Biblioteca Nazionale in Florenz: Michelangelo Buonarroti il vecchio,
descritto dal Tribolo: »un ’huomo grande, bello con un barbone, un certo figurone.«
7) Frey, Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti. Berlin 1907 p. 203. Das falsche Datum Milanesis (a. a. O. 524) hat
Frey berichtigt.

2

9
 
Annotationen