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trotzdem konnte der Vierundsiebzigjährige dem Neffen schreiben, er fühle sich im übrigen,
wie er sich mit dreißig Jahren gefühlt hätte1). Die Nachrichten im folgenden Jahrzehnt
lauten sehr verschieden, aber im allgemeinen dürfen wir wohl Condivi glauben, wenn er
das lebhafte und robuste Greisenalter Michelangelos rühmt2). Konnte doch der Meister
selbst noch im Dezember 1554 an den Neffen schreiben, er glaube, daß es ihm nicht
schlechter gehe als anderen Menschen in dem gleichen Alter3). Ende der fünfziger Jahre
lauteten dann die Nachrichten, die von Florenz nach Rom gingen, weniger günstig. »Ich
bin ganz der Eurige,« schrieb Michelangelo am 14. Januar 15 59 an Bartolomeo Ammanati,
»alt, blind und taub und zu nichts mehr nütze, weder mit den Händen noch sonst «4).
Auch Vasari fand seinen großen Freund sehr matt und müde, als er ihn im April des
nächsten Jahres in Rom besuchte5). Aber taub und blind ist Buonarroti niemals gewesen,
wie er selbst in sarkastischer Übertreibung behauptet hat, und wie die Legende es mit
allerhand Ausschmückungen nachzuerzählen liebte6). Im Gegenteil! Die Natur hat ihn bis
zuletzt besonders gnädig behandelt. So konnte Daniello daVolterra noch im Juli 1563 nach
Florenz berichten: »So alt wie er ist, geht es ihm wirklich auffallend gut, und an seinem
Körper hat er nur den einen Defekt, daß seine Beine schwach sind und bald7) das eine,
bald das andere ein wenig anschwillt.« Und so erhält das Zeugnis Vasaris die Bestätigung
eines Augenzeugen, wenn er schreibt: »Die Römische Luft, weicher und temperierter als
die von Florenz, hatte ihn bis zu seinem neunzigsten Lebensjahre vollkommen gesund
erhalten, mit allen seinen Sinnen so lebhaft und unverändert, wie sie je gewesen waren
und mit verhältnismäßig so ungebrochenen Kräften, daß er bis zum letzten Tage nicht
aufgehört hat, an irgendeiner Sache zu arbeiten«8). Wenn auch die letzte Behauptung
den Tatsachen nicht ganz entspricht, so kann man doch sagen, daß Michelangelodenseiben
schönen schnellen Tod gefunden hat, wie Petrarca, der an seinem Schreibtisch einschlief.
Von den Beschreibungen, die Condivi und Vasari von Michelangelos äußerer Erscheinung
hinterlassen haben, kann nur Condivis Schilderung den Anspruch erheben, eine gleich-
zeitige Quelle zu sein. Condivi hat seine Aufzeichnungen vor dem 16. Juli 1553, dem Er-
scheinungsdatum seiner Biographie, gemacht, als Michelangelo 78 Jahre alt war9). Vasari
dagegen bringt eine Beschreibung der Persönlichkeit Buonarrotis10) erst in der zweiten
Auflage seiner Lebensbeschreibungen vom Jahre 15 68, undaucheinoberflächlicherVergleich
läßt uns sofort erkennen, daß er Condivis Arbeit hier noch skrupelloser als gewöhnlich
1) Milanesi, Lettere 242.
2) Ed. Frey p. 176: »Vivace e robusta vecchiezza.«
3) Milanesi, Lettere p. 301.
4) Milanesi 550. Frey, Briefe 253. Andere Klagen über die Gebrechen des Alters finden sich: Milanesi, Lettere p. 310,
334, 334—36. Dazwischen schreibt aber Michelangelo wieder im Dezember 1557: Da vecchio sto assai bene e con buona
speranza.
5) Schreiben an den Herzog Cosimo. Milanesi VIII, 331.
6) Vor allem Cesare Ripa, Iconologia. Siena 1613. Vergl. ferner was Bottari in seiner Vasariausgabe (Roma 1760 III,
323 Anm. 2 gegen Sandrart bemerkt.
7) Daelli a. a. O. p. 36.
8) Milanesi VII, 293.
9) Vergl. die äußerst seltene Originalausgabe: In Roma appresso Antonio Blado Stampatore Camerale nel M. D. LIII,
alli XVI di Luglio. Diese Ausgabe ist auch bei den vollständigen Ausgaben (hier ist das L terno, während es sonst duemo
ist) sehr willkürlich paginiert. Vergl. Gamba, Serie dei testi di lingua IV a Nr. 1330. Die Beschreibung der Erscheinung
Michelangelos steht auf den Seiten 44v und 49r. Im folgenden ist die Übersetzung Condivis von Herrmann Pemsel (p. 200
Kap. 59), mit Vergleichung des Originaltextes benutzt.
10) Milanesi VII, 284.

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