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Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0097
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wurde in die Sakristei von San Lorenzo geschickt und Bandinelli erhielt den vielum-
strittenen Block, das Gegenstück des »Giganten« zu meißeln1*.
Vicenzo de’ Rossi war ein Schüler Bandinellis und als solcher dem Andenken Buonar-
rotis feindlich gesinnt. Hat er an diesen Streit erinnern wollen, in dem Michelangelo
seinem Widersacher unterlag, als er dem zu Boden gestreckten Kakus die Züge des
Mannes verlieh, dessen Erinnerung jedem Florentiner heilig war? Michelangelo unter
dem Bilde des besiegten Kakus dargestellt, ist jedenfalls die seltsamste Darstellung,
die wir von ihm besitzen2*. Man ist erstaunt, daß ein Florentiner Künstler es wagen
konnte, die allbekannten Züge des vergötterten Meisters so zu verunglimpfen, erstaunt,
daß dies allerdings wohl nur wenigen bekannte Zerrbild nicht längst der Vernichtung an-
heimgefallen ist.
TAFEL 81.
Michelangelo als Anatom. Zeichnung des Bartolomeo Passaroti im Louvre. (Nr. 8, 485.)
Der Verfasser des Codice Magliabecchiano3*, Vasari4*, Condivi5*, Donato Gianotti6* —
kurz alle Zeitgenossen, die über Kunst und Leben Michelangelos geschrieben haben,
wissen von seinen früh begonnenen und spät vollendeten anatomischen Studien zu be-
richten. Wie Lionardo mit dem Veroneser Arzt Marcantonio della Torre anatomische
Studien trieb und die Beobachtungen des Gelehrten durch Zeichnungen veranschaulichte7*,
so war Michelangelo mit den Ärzten Baccio Rontini8* und Realdo Colombo9* eng be-
freundet. Rontini war in Florenz geboren und lebte jahrelang in Rom, wo er seinen
Landsmann zweimal aus schwerer körperlicher Not gerettet hat. Mit dem Chirurgen
Realdo Colombo beabsichtigte Michelangelo sogar ein Werk über Anatomie herauszu-
geben10*. Wäre dies geschehn, so würde schon damals eine Wissenschaft Existenz-
berechtigung erhalten haben, die Michelangelo selbst noch in aller Heimlichkeit hatte
betreiben müssen11*, wir würden überdies in einem solchen Buche eine Summe empirischer
Beobachtung und künstlerischer Intuition vereinigt sehn, deren Wert und Bedeutung nicht
vorzustellen ist.
Schon früh ist Michelangelos Tätigkeit als Anatom auch durch die Kunst verherrlicht
1) Thode III, 464 hat diesen Konflikt ausführlich behandelt und gleichzeitig die beiden Modelle publiziert, die sich in
London und Florenz befinden. Gruppen, wie diese, wurden dann in der Kunst des späten Cinquecento sehr populär.
Sie begegnen uns am Katafalk des Michelangelo, sie sind in enger Anlehnung an die bekannte Gruppe des Juliusdenkmals
von Gian Bologna und Vincenzo Danti gemeißelt worden. Vgl. auch E. Jacobsen, Ercole e Cacco di Michelangelo in Miscellanea
d’Arte I [1903], p. 103.
2) A. Jansen hat zuerst in der Zeitschr. f. b. K. XI (1876), p. 64 u. 145 auf die Porträtähnlichkeit Michelangelos im
Kakus hingewiesen. Die linke Hälfte des Gesichtes ist stark abgeschlagen.
3) Ed. Carl Frey. Berlin 1892, p. 115.
4) Ed. Milanesi VII, 268 und 274, ed. Frey, p. 31. Vgl. Condivi ed. Gori. Prefazione p. XXIV.
5) Ed. Frey, p. 30. Vgl. Francisco de Hollanda ed. Vasconcellos, p. 197.
6) De’giorni ehe Dante consumö nel cercare 1’Inferno ei’ Purgatorio. Firenze 1859, P- 5- Vgl. Thode III, 220 ff.
7) Vasari IV, 35.
8) Vgl. über Baccio Rontini, Notizie dell acc. Fiorentina p. 29, wo ihm ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Vasari VII,
211 A. 3. Nie. Martelli, II primo libro delle lettere. Firenze 1546, p. 9V. u. 10. Bottari, Lett. pitt. III 67. Steinmann,
Sixt. Kap. II, 510.
9) Vgl. Marini, Degli archiatri Pontifici. Roma 1784. I, 372 und 392 und Condivi ed. Pensel, p. 172. Anm. 4, wo über
Colombo wertvolle Aufschlüsse erteilt werden.
10) Condivi ed. Frey, p. 194. Vasari VII, 274.
1C Vgl. über die Anfänge der Anatomie in der Wissenschaft E. Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei. Stuttgart 1903,
p. 20 ff. Vgl. auch W. Henke, Die Menschen des Michelangelo im Vergleich mit der Antike. Rostock 1871.

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