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Tietze, Hans [Bearb.]; Tietze-Conrat, Erica [Bearb.]; Dürer, Albrecht [Ill.]
Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers (1): Der junge Dürer: Verzeichnis der Werke bis zur venezianischen Reise im Jahre 1505 — Augsburg: Benno Filser Verlag G.M.B.H., 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.55259#0106
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B. DIE WERKSTÄTTE

W 1-2
zu 1484
1490-94

Hier sind jene Arbeiten angeführt, die nach Ansicht der Verfasser noch unmittelbar auf Dürerschen Ideen
vor 1505 fußen, sei es als Kopien verlorener Werke, sei es als Werke von Künstlern unter seiner Leitung
und Verantwortlichkeit, also der Werkstätte im engeren Sinn des Wortes.

W 1. Zu 1484 (?)• B. Stettin, Sammlungen des
Pommerschen Geschichtsvereins.
BILDNIS DES DREIZEHNJÄHRIGEN DÜRER. Öl
auf Papier, vielleicht ursprünglich Tempera, unter
dickem Ölfirnis; das Papier vielfach gebrochen. Höhe
261, Breite 172. Oben Jahreszahl 148., die sicht-
baren Reste der letzten Ziffer lassen sich nur auf 4
ergänzen. Unten auf einem aufgeklebten Streifen
Inschrift: »im 13 iar was ich«.
Schwere ölige Substanz, die Lichter auf den Ärmeln
in breiten Streifen aufgesetzt, Kappe rot, Rock grün,
Inkarnat oliv, Haare braun. Hintergrund schwarz,
oben abgerundet, mit steinfarbiger Einfassung.
Das Bild befindet sich in einem Klebeband, der als
Visierungsbuch Herzog Philipps II. von Pommern
identifiziert worden ist; der Band tauchte 1888 im
Besitz des Bürgermeisters von Kämpen auf und
wurde im selben Jahr vom Kommerzienrat Fr. Lenz
erworben, der ihn der Gesellschaft für Pommersche
Geschichte zum Geschenk machte. Nach dem Titel-
blatt ist der Band 1617 zusammengestellt worden,
wobei nach der fortlaufenden Numerierung zu
schließen das vorliegende Bildnis bereits vorhanden
war. Die Bestimmung auf D. erfolgte durch den
Kustos des Stettiner Museums F. Henry (Monats-
blätter der Gesellschaft für Pommersche Geschichte,
Oktober 1927, p.95). Die Ähnlichkeit mit dem Selbst-
bildnis D.s in der Albertina (1) ist in der Tat über-
zeugend. Hingegen ist die Vermutung Henrys, daß
das Bildnis von D. in den ersten Jahren seiner Lehr-
zeit bei Wolgemut, also etwa 1486 gemalt worden
sei, unwahrscheinlich, da kein Grund ersichtlich ist,
warum dann die Jahreszahl 1484 angebracht worden
wäre, selbst wenn D. die Albertinazeichnung (1) be-
nützt hätte. Der Erhaltungszustand des Bildes ge-
stattet keine Entscheidung, ob das vorliegende Bild
selbst das Original von 1484 oder eine Kopie danach
ist. Ebenso schwierig ist demnach die Entscheidung,
ob es sich um ein Selbstporträt oder die Arbeit eines
andern handelt. Für ein Selbstporträt spricht die be-
fangene Pose, die sichtliche Ungeschicklichkeit, die
naive Treue bei der Wiedergabe des Halsausschnittes ;
unter diesen Umständen könnte jedoch das Bild nicht
ein Original sein, da die grobe, breite Malweise zu
allen Frühwerken D.s in stärkstem Widerspruch

steht; vgl. 1,15 usw. Vgl. insbesondere die allgemeine
Wiedergabe der Troddel an der Kappe im Gegensatz
zu der für D. sonst charakteristischen hingebenden
Versenkung in derartiges Detail.
Danach scheint das Bild eine Kopie des 16. Jahr-
hunderts nach einem Original D.s von 1484 gewesen
zu sein. (S. Exk. I.) [Abb. p. 213.]
2. Zu 1490-94. Z., London, Brit. Mus.
DARBRINGUNG IM TEMPEL. Feder. Höhe 297,
Breite 195.
Aufschrift in einer Hand des 16. Jahrhunderts:
»Albrecht Dürer hatt dis stuck gemacht in seinen
ledigen wander joren.«
Von Seidlitz (Rep. 1883, VI, p. 204) als Zeichnung
D.s in die Literatur eingeführt. Nach Meder (Neue
Beiträge, p. 189) Kopie nach einem Original D.s.
Der Komposition liegt eine Zeichnung Schongauers
zugrunde, die in mehreren Kopien erhalten ist; das
Exemplar der Albertina im alten Albertinawerk
(737). Römer (p. 124 zu Abb. 3) nimmt an, daß
die Zeichnung in den von der späteren Hand un-
berührten Teilen vom jungen D. der Wanderjahre
stamme, die Ergänzungen aber vielleicht in D.s
Werkstätte um 1500 vorgenommen worden seien
(vgl. auch die Rahmung des Chorbogens) und jeden-
falls eine frühere Stilstufe als Holzschnitt B. 88 (278)
darstellen. Winkler (L. 598) setzt die Zeichnung
ohne Einschränkung in D.s Wanderjahre.
Die Schongauer zugeschriebene Vorlage gibt nur die
Unterlage, aus der die spätere Komposition heraus-
wuchs. Die Abweichung zeigt ein Streben nach Ver-
einfachung und in der Architektur Mangel an Phan-
tasie bei größerem Bedürfnis nach Raumtiefe. Diese
Details machen eine Entstehung der veränderten
Komposition nicht vor den Blättern des Marien-
lebens um 1504 wahrscheinlich. Mit diesem Datum
stimmt wieder die genaue Übernahme der beiden
Vordergrundsfiguren aus der Vorlage nicht überein.
Wenn, wie Römer vermutet, die D.sche Vorzeich-
nung von einem späteren Werkstattmitglied über-
arbeitet worden ist, hätte dieses bei der Detail-
füllung auf die alte Schongauersche Vorlage zurück-
greifen müssen, anderseits wäre die Erfindungsarmut
D. zuzuschreiben. Beides ist schon darum unwahr-

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