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Dürer, Albrecht [Ill.]; Tietze, Hans [Bearb.]; Tietze-Conrat, Erica [Bearb.]
Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers (1): Der junge Dürer: Verzeichnis der Werke bis zur venezianischen Reise im Jahre 1505 — Augsburg: Benno Filser Verlag G.M.B.H., 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.55259#0273
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ALLGEMEINE ERÖRTERUNGEN

Jede wissenschaftliche Arbeit muß aus Notwendigkeit entstehen. Angesichts der
im Lauf der letzten Jahrzehnte so intensiven Beschäftigung mit Dürer und der anläß-
lich der Jahrhundertfeier im April 1928 zu erwartenden weiteren Steigerung dieser Lite-
ratur bedarf dieser Versuch einer kritischen Überprüfung und Zusammenstellung seiner
Werke bis zur venezianischen Reise im Jahre 1505 um so mehr einer Rechtfertigung,
als seine beiden Autoren, obwohl sie sich diesem Thema im Lauf früherer Jahre wieder-
holt genähert hatten, doch nicht jenem engeren Stab von Forschern angehören, die an
der Erschließung dieses Sondergebietes am unermüdlichsten und erfolgreichsten mit-
gewirkt haben. Vielleicht ist ihnen gerade infolge dieser größeren Unbefangenheit das
Bedürfnis, das maßlos verzettelte und unübersichtliche Material in eine handliche
Form zu bringen, zwingender erschienen als jenen, die durch alterworbene und lang-
erprobte Spezialkenntnis mit dem Stoffe verwachsen sind; stärker als dieser äußerliche
und praktische Gesichtspunkt hat sie jedoch ein innerer Grund veranlaßt, ihre aus sehr
verschiedenen Richtungen stammenden Interessen an diesem Hauptthema der deut-
schen Kunstgeschichte zu gemeinsamer Arbeit zu vereinigen: Die Überzeugung näm-
lich, daß das Werk Dürers, das die Grundlage und zugleich den Niederschlag unserer
Vorstellung von ihm bildet, dringend einer Sichtung und Prüfung bedarf.
Jeder Generation ist die Aufgabe gestellt, die Geschichte der Vergangenheit vom Stand-
punkt der jeweiligen Gegenwart neu zu schreiben, in der Auffassung der großen natio-
nalen Heroen spiegelt sich das wechselnde Ideal späterer Zeiten. Wie auch Dürers
Bild sich im Zug der Jahrhunderte gewandelt hat, bildet ein interessantes Kapitel
deutscher Geistesgeschichte; im Dürer des Humanismus, des Barock, der Romantik,
des historischen Positivismus sind sehr verschiedene Kräfte und Sehnsüchte verkörpert.
Den unserer Zeit gemäßen Dürer zu schildern, übersteigt unseren Ehrgeiz; was wir
in diesem Buch versuchen, ist lediglich eine Vorarbeit dazu, eine Untersuchung der
Einzelelemente, aus denen sich das künstlerische Bild des Meisters zusammensetzt.
Auch diese Frage, welche Arbeiten Dürer gehören und welche nicht, ist ein Teil des
größeren Problems der Zeitbedingtheit aller historischer Interpretation; die um ob-
jektive Ergebnisse bemühte stilkritische Methode ist lediglich das Instrument, das der
von anderen geistigen Strömungen abhängigen Gesamtkonzeption des Künstlers dient.
Dürers Werk, wie es breit und stattlich vor uns liegt wie das weniger Künstler, ist auf
zwei Wegen zustande gekommen; nach der italienischen Bildhauerterminologie der
Renaissance »per forza di levare« und »per via di porre«, durch Wegnehmen und
Hinzufügen. Der älteste Dürer der Nachwelt war der noch aus der humanistischen
Literatur seiner Zeit herausgewachsene Künstler schlechtweg, der deutsche Gegen-

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