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Tietze, Hans [Bearb.]; Tietze-Conrat, Erica [Bearb.]; Dürer, Albrecht [Ill.]
Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers (1): Der junge Dürer: Verzeichnis der Werke bis zur venezianischen Reise im Jahre 1505 — Augsburg: Benno Filser Verlag G.M.B.H., 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.55259#0415
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VIII. ZU DEN ANFÄNGEN DER PROPORTIONSSTUDIEN
Die Anfänge von Dürers Proportionsstudien führen nach seinem eigenen Zeugnis
zu Jacopo de Barbari. Im Londoner Entwurf zu der Vorrede der Proportionslehre
berichtet Dürer über diesen Mann »Jacobus genennt, von Venedig geboren, ein lieb-
licher Moler. Der wies mir Mann und Weib, die er aus der Mass gemacht hätt, und daß
ich auf diese Zeit liebr sehen wollt, was sein Meinung wär gewest dann ein neu Kunig-
reich-Aber ich was zu derselben Zeit noch jung und hätt nie von solchem Ding
gehört.-Dann mir wollt dieser vorgemeldt Jacobus seinen Grund nit klärlich an-
zeigen, das merket ich wol an ihm. Doch nahm ich mein eigen Ding für mich und las
den Fitrufium, der beschreibt ein wenig von der Gliedmass eines Manns. Also van oder
aus den zweien obgenannten Mannen hab ich meinen Anfang genommen-« Seit-
dem Ludwig Justi in seiner grundlegenden Untersuchung über »Konstruierte Figuren
und Köpfe unter den Werken Albrecht Dürers« (Leipzig 1902) die große Bedeutung
dieser bis dahin - namentlich von Thausing - als nebensächlich beiseite geschobenen
kunsttheoretischen und wissenschaftlichen Bemühungen Dürers klar gestellt hat, ist
die Diskussion über Barbaris Anteil an Dürers Bemühungen und über den Zeitpunkt
seines Einflusses auf diesen nicht wieder zur Ruhe gelangt. Justi selbst hat das Ver-
dienst Barbaris um Dürer möglichst bestritten und im Repertorium XXI ausführlich
nachzuweisen versucht, daß überall, wo eine Berührung zwischen den beiden feststell-
bar ist, Dürer der gebende und Barbari der empfangende Teil gewesen sei; der nur im
Ausland zu abenteuerlichen Ehren gelangte, sehr unbedeutende Barbari sei nicht der
Mann gewesen, eine ihm zweifellos so überlegene Persönlichkeit wie Dürer ernstlich
zu beeinflussen. Was speziell die Proportionsstudien anbelangt, hat Panofsky (Dürers
Kunstlehre, Berlin 1915) nachweisen wollen, daß sich Dürer höchstwahrscheinlich
sein ältestes Schema ohne sachliche Anlehnung an Barbari, aber auch ohne Benutzung
Vitruvs nur durch Anwendung gotischer Reißprinzipien auf die Aktzeichnung selbst
gebildet habe, um es dann nach erfolgter Bekanntschaft mit Vitruv und der antiken
Skulptur weiter zu entwickeln. Panofsky hat später (imPr. Jb. XLI) einen weiteren un-
gemein wichtigen Beitrag zur Erkenntnis des Verhältnisses beider Künstler geliefert;
dadurch daß er an einem konkreten Falle - der Londoner Apollo-Zeichnung L. 233 Nr. 231
und den damit zusammenhängenden Stichen Dürers und Barbaris - ihre Beziehungen
als Wechselbeziehungen aufgedeckt hat, hat er den grundsätzlichen Weg zur Erkennt-
nis erschlossen; wie zumeist ist auch hier die historische Wahrheit nicht auf dem ein-
fachen, sondern auf dem komplizierten Wege zu suchen.
Der Zufall äußerer Lebensumstände hat es mit sich gebracht, daß sich die Wege der
beiden Männer mehrmals gekreuzt haben, so daß die Anknüpfung gewisser Fäden

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