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Tietze, Hans [Bearb.]; Tietze-Conrat, Erica [Bearb.]; Dürer, Albrecht [Ill.]
Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers (1): Der junge Dürer: Verzeichnis der Werke bis zur venezianischen Reise im Jahre 1505 — Augsburg: Benno Filser Verlag G.M.B.H., 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.55259#0365
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V. ZUR FRÜHEN WERKSTÄTTE

Die Schwierigkeiten, die der Ermittlung des Anteils des jungen Dürer an der Arbeit
der Werkstätten, in denen er aufwuchs, im Wege stehen, gelten - gewissermaßen
mit umgekehrtem Vorzeichen - auch für die Werke, die aus seiner neugegründeten
Werkstätte hervorgingen. Sie sind darin gelegen, daß sich an jener Wende des Mittel-
alters zur Neuzeit bürgerliche Persönlichkeit und künstlerische Individualität in einer
Weise nicht decken, die die moderne Vorstellung von Künstlertum in Verwirrung
bringt. Die Wandlung, die der künstlerische Beruf um diese Zeit durchmachte, war
durch die Lockerung der handwerklichen Bindungen wenigstens lokal vorbereitet; die
Ausübung der Malerei löst sich z. B. in Nürnberg allmählich vom rein zunftmäßigen
Betrieb. Aber die innere Umstellung, an der Dürer selbst den allerwichtigsten Anteil
besaß, ist noch bedeutsamer; die Kunst entwächst dem Handwerk, das ihr den sozialen
und wirtschaftlichen Boden gewährt hatte und sucht ihre soziale Berechtigung in ihrer
wissenschaftlichen Leistung, ihre wirtschaftliche Unterlage in einem Publikum speziell
Interessierter. Dürer, der durch seine theoretischen Bemühungen und durch den Ein-
druck seiner Persönlichkeit wie kein Zweiter einen in Italien weit vorgeschrittenen
Prozeß auch im Norden durchgesetzt hat, steht doch noch - vollends in seinen An-
fängen - auf dem Boden der Vergangenheit; daß wir den Maßstab reinen Künstler-
tums - nicht qualitativ, sondern sozial - an ihn legen, erschwert die Beurteilung der
ersten Erzeugnisse seiner selbständigen Periode.
Die spätmittelalterliche Werkstätte schwankt in ihrer Erscheinung zwischen geschäft-
lichem Unternehmen und künstlerischer Organisation; es gibt Fälle, in denen ein
Unternehmer die verschiedenen Kräfte zur Durchführung einer Arbeit anwarb und
Fälle, in denen die künstlerische Leitung und Verantwortung für alle Teile des gemein-
samen Werkes in einer Hand blieben. Bei Dürer, in dessen Werk die Gattung der
großen Flügelaltäre gänzlich fehlt, nehmen wir ein Überwiegen der zweiten Form an;
unter seiner Werkstätte stellen wir uns einen Kreis von mehr oder weniger von ihm
abhängigen Kräften vor, die er in verschiedenem Maß an seinen Arbeiten teilnehmen
ließ. Eine gradweise Abstufung war dabei unvermeidlich; sie mag - je nach der Bezah-
lung oder Dürers sonstigem Interesse an dem betreffendem Auftrag - von der Beteili-
gung an untergeordneten Partien eigenhändiger Werke über die Ausführung nach
Entwürfen des Meisters bis zur selbständigen Durchführung seiner allgemeinen Ideen
und Angaben sich erstreckt haben.
Daß ein solcher Arbeitsbetrieb stattgefunden hat, ist uns durch die Briefe Dürers an
Heller, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch unzweifelhaft bestätigt. Wenn er immer
wieder die Eigenhändigkeit der Arbeit - und gleichzeitig das geschäftlich Unvorteil-

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