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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0014

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a. Auch war das römische Recht niemals ganz tot und vergessen, wie ich an dem Beispiel
der Entwicklung des Kanonisationsprozesses aus dem römischen Pseudovindikations-
prozeß (diese Zs., Rom. Abt. 105,1988) zeigen konnte.

Es ist Engels völlig zuzustimmen (S. 7), wenn er schreibt: ,In den Augen des Papst-
tums standen Imperium und Sacerdotium seit der Mitte des 11. Jahrhunderts nicht mehr
gleichwertig nebeneinander'. Für Gregor VII. war der Papst das alleinige Oberhaupt der
Christenheit, der einzig wahre Kaiser, der als Konsequenz neben sich nur Könige als
Lehnsträger dulden konnte, einen Kaiser als Pendant aber überflüssig machte. Mit
Recht betont Engels, daß sich das Kaisertum gezwungen sah, sich nach neuen Ideolo-
giegrundlagen umzutun. In diesem Zusammenhang sei nur auf die Wurzeln der be-
rühmten ,Adamsarengen' Kaiser Friedrichs II. verwiesen, die in Ansätzen schon im 12.
Jahrhundert auftauchen. Der sancta ecclesia steht seit 1157 das sacnim imperium gegenü-
ber (vgl. G. Wolf, diese Zs., KA, 106,1989, S. 115). Völlig zu Recht weist Engels (S. 9)
darauf hin, daß, seit der Anerkennung Papst Alexanders III. 1177, die Staufer keine Ge-
genpäpste mehr aufstellten. Zuzustimmen ist wohl auch der Feststellung, daß das Schis-
ma letztlich nicht nur Friedrich Barbarossa, sondern auch dem Kaisertum geschadet
habe, was an der Emanzipierung insbesondere Frankreichs und Englands (S. 9/10),
auch z. B. Dänemarks (S. 23), sichtbar wird. Freilich, die großen Zusammenhänge der
Bildung eines europäischen Staatensystems durch Anstöße Manuels I. und Rogers II.
von Sizilien mögen dabei auch wesentlich mitgespielt haben. Grundlegend richtig ist,
was Engels in den drei zusammengehörenden Abschnitten ,Vita apostolica', ,Ritterorden
und Kreuzzugsbewegung' und .Umbruch im Erkenntnis- und Wissensgefiige' sagt. Die Sehn-
sucht nach der vita apostolica, nach der ecclesia primitiva ist alt und immer wiederkeh-
rend, als Reaktion auf die Verstrickung der Kirche in die Welt. Insbesondere im 11. Jahr-
hundert wird sie stark - als Gegenstück zur Mächtigkeit der Kirche und ihrer Repräsen-
tanten, nicht erst bei Katharern und Waldensern, sondern in der Neugründung strenger
Mönchsorden und in der Häufigkeit von Ketzerbewegungen. Nachzutragen wäre der
Hinweis auf die Wandlung des Menschenbildes, die sich auch in der Wandlung des
Christus-Bildes vom Pantokrator (maiestas Domini) zum crucifixus (schon um 973 erst-
mals beim Kölner Gerokreuz!) manifestiert. Die Auflösung des ,Wir' des populus Christi-
anus zum an und in der Welt leidenden Individuum deutet sich an. Ich stimme Engels
auch zu, wenn er (S. 15) zwischen den extremen Meinungen von H. E. Mayer, der die
Kreuzzüge als ,bewaffnete Wallfahrt' sieht, und Carl Erdmann, der in ihnen eine Form
der Heidenkriege sieht, eine mittlere Stellung einnimmt und die Kreuzzüge als eine
Mischform aus beiden anspricht.

Zentrale Ausführungen macht Engels auch im Abschnitt über den ,Umbruch im Er-
kenntnis- und Wissensgefüge', vor allem zum Symbolismus des früheren Mittelalters bis
ins 12. Jahrhundert hinein. Er verweist mit Recht auf die abbildhafte Zahlensymbolik,
deren Erforschung durch den Münsteraner Sonderforschungsbereich unter Karl Hauck
ja eigentlich erst begonnen hat. Dem Symbolismus des früheren Mittelalters setzt engels
(S. 20) die ratio als Erkenntnisprinzip der Scholastik entgegen (S. 21). Seit der Aristoteles-
und Avicenna-Rezeption um 1140 aus Toledo (S. 22) werden die Erkenntnis- und Seins-
ordnung konform, was eine Kampfansage an den Symbolismus bedeute (S. 23). Dies ist
in der Tat ein Kennzeichen einer ,Wende des Mittelalters'.

Es schließt sich ein Abschnitt ,Auf dem Weg zur neuen Staatlichkeit' an: Was Engels
hier über das Zusammenbrechen der fränkischen Gesellschaftsstruktur (S. 23) und den
Verlust des Amtscharakters (S. 24) mit den Folgen der Fehde als Recht der Selbsthilfe des

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Adels sagt, ist höchst aufschlußreich. Dasselbe gilt für die Ausführungen zur Stadtrechts-
entwicklung in Spanien (S. 24/25), zu der aus Südfrankreich stammenden Gottesfrie-
densbewegung mit ihrer Funktion der Rechtssicherung, bis zur Ausbildung funktions-
fähiger Territorialstaaten und zu der Entwicklung vom Gottesfrieden zum Landfrieden
(S. 27/28).

Von nicht minderem Gewicht ist der zweite Aufsatz,,Beiträge zur Geschichte der
Staufer im 12. Jahrhundert', der (schon) 1971 im Deutschen Archiv (27) erschien. Hier
vermißt man einen kurzen Nachtrag, der, wenigstens hinsichtlich der genannten Litera-
tur, die Forschung zwischen 1970 und 1988 berücksichtigt. Mit vollem Herzen aber beja-
hen kann man die kritische Mahnung (S. 32 ff. und 58) über die oft verheerende normati-
ve Wirkung der Jahrbücher des Deutschen Reichs', insbesondere soweit sie dem Ge-
schichtsbild nach 1871 entsprachen, ob das nun Harry Bresslaus ,vollsaftiger Laie' Kon-
rad II. oder der ,Pfaffenkönig' Konrad III. ist - selbst die Sprache ist heute oft kaum mehr
erträglich und die Neubearbeitung ein drängendes Desiderat.

Noch einmal und zu Recht bestätigt Engels, daß die sogenannte ,staufische Herr-
schaftsideologie' schon lange vor Friedrich I. nachweisbar ist. So ist auch der Mythos von
der Königswahl Friedrichs I. als Siegel der ,neuen Zeit' durch ihre unanimitas nicht halt-
bar (S. 58 - 91). Engels Ausführungen zur Königswahl Friedrichs 1.1152 und die Anlage
seiner Politik berichtigen in vielem das alte Bild des Staufers. Dasselbe gilt für den Ab-
schnitt Entwicklungsstufen des staufischen Selbstverständnisses im 12. Jahrhundert' (S.
91 - 115). Als Ergebnis stellt Engels (S. 115) eine stufenweise Erhöhung des staufischen
Selbstverständnisses fest, die sich unschwer bis zu Friedrich II. fortführen läßt.

Ansprechend vertritt Engels die These, daß Friedrich (von Staufen), Gemahl der Kö-
nigstochter Agnes (Tochter Heinrichs IV.), als gleichwertiges Gegensymbol' zum Ho-
hentwiel den Hohenstaufen (684 m!) als Ort seiner Herzogsburg, das Castrum Sto\/phe
(Gesta Frid. I, 8) gewählt habe. Als letzte und höchste Stufe staufischen Selbstverständ-
nisses (S. 113) sieht Engels das Bewußtsein als imperialis prosapia, was m. E. mit dem
Rückgriff auf die lex regia zu tun hat und der Wichtigkeit Roms, wie sie sich in der Äuße-
rung Barbarossas, er sei legitimus possessor, und Friedrichs II. Romidee ausdrückt.

Der dritte Aufsatz des ersten Abschnitts, ,Zur Entmachtung Heinrichs des Löwen' (S.
116 -130), ist relativ neu (1982). Er ist rechtsgeschichtlich, fußend auf der grundlegenden
Darstellung Karl Jordans von 1979, recht relevant: Engels untersucht, ausgehend vom
Erfurter Reichstag November/Dezember 1181, das lehnsrechtliche und landrechtliche
Verfahren gegen Heinrich und wehrt Versuche, die Unterschiede einzuebnen, ab. Auch
könne (S. 118) die Behauptung von der Aufhebung der landrechtlichen Acht und Ober-
acht nicht unwidersprochen bleiben. Wichtig, und aus dem frühen Mittelalter schon
etwa in dem Verfahren gegen Tassilo III. von Bayern 788 belegbar, ist der Hinweis (S.
118), daß Verbannung als abgemilderte Todesstrafe wegen Rebellion und Majestätsver-
brechen anzusehen sei. Dasselbe gilt für die Feststellung, daß Verbannung und Vermö-
gensverlust ebenso wie Begnadigung und (teilweise oder völlige) Wiedereinsetzung je-
weils uno actu erfolgt seien. Auch dafür lassen sich Nachweise (etwa 896 für Arnulfs Base
Hildegard) erbringen. Heinrichs des Löwen Bußwallfahrt (wofür es ebenfalls viele Bei-
spiele gibt) nach Santiago di Compostela sei aus der schon 1153 im Konstanzer Vertrag
festgelegten eo (pso-Folge des Bannes auf die Acht (wie umgekehrt!) erfolgt. Heinrich sei
wohl, trotz der verschiedenen Versionen (unbefristet bzw. für 3 Jahre) bei Arnold von
Lübeck und in den Gesta Heinrici II (unbefristet) verbannt worden mit der Cautele der
Fürsten (S. 129), daß nur mit ihrer Zustimmung Heinrich in gradum pristinum (ad statum

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