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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0031

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rael zeigt sich dies ganz deutlich. Und wenn auch bei Jesus selbst sich nur wenig -
großenteils in ihrer Bedeutung dunkle - Stellen finden, die auf Kampf bezogen sind, bei
Paulus, der viel mehr als Jesus selbst auf jüdischer Tradition fußt, ist die Vorstellung des
Glaubenskämpfers gang und gäbe. Ebenso in den Pastoralbriefen, im 1. Clemensbrief,
bei Ignatius, bei Justin und oft. Die Taufe als ,sacramentum' (Fahneneid), Christus als
,imperator', alle Christen als ,milites Christi', aber - und das ist beachtlich - auch schon
früh, insbesondere die Konfessoren und Märtyrer: sie sind die eigentlichen' Krieger
bzw. ,Offiziere Gottes'. Bald kamen in diese Sonderwertung alle, die mit dem Bösen an
besonderer Stelle, besonders intensiv und altruistisch kämpfen: d. h. Asketen, Mönche,
Priester. Freilich, Soldaten selbst, als besondere ,milites Christi', sind erst - und immer
noch als Ausnahme - nach der Konstantin'schen Wende zu Beginn des 4. Jahrhunderts
belegt, die auch hierin einen Bruch der christlichen Tradition bedeutet, als es nicht mehr
in erster Linie um Kampf gegen das Böse oder gegen die Dämonen geht, sondern um
den Kampf gegen irdische Gegner und Feinde, die zu Feinden Christi gestempelt wer-
den. In der Theorie freilich wird noch immer versucht, unter Berufung auf Jesus, selbst
dies abzuwehren.

Bei der Gründung koinobitischer Lebensformen von Asketen und Mönchen, die
(etwa um 320 n. Chr.) wohl im ägyptischen Kloster Talemisi ihren Anfang nahm, griff
der erste ,Klostergründer' Pachomius in seiner ,Regel' auf Vorschriften zurück, die dem
Soldatenstand entnommen waren: Übungen, unbedingter Gehorsam (gegenüber dem
Abt), scharfe Disziplin, kein Privateigentum, Pflicht zur Arbeit. Die Mönchsregel des Ba-
silius (t 379), Grundlage des östlichen Mönchtums, baute diesen Tugend- und Pflichten-
katalog weiter aus, den dann auch der Vater des abendländischen Mönchtums, Benedict
von Nursia (480 - 547), in seiner zwischen 523 und 526 verfaßten ,Regula monasteri-
orum' benutzte, die zur Grundlage des Benediktinerordens und des abendländischen
Mönchtums wurde.

Nach Benedict ist das Leben des Mönchs ein Kriegsdienst, der Christus, dem wahren
König, geleistet wird. ,Der Mönch ist ein Krieger Gottes, die Regel ein Kriegsgesetz, dem
sich der Mönch verpflichtet, um unter ihm zu dienen, das Monasterium das Zelt, in wel-
chem er wohnt, die Gemeinschaft der Brüder schließlich die Schlachtreihe, in der er
kämpft'.

Andererseits nahm das Chalcedonense 451 gerade Kleriker und Mönche vom Kriegs-
dienst aus, ja für Kleriker war der Kriegsdienst sogar verboten. Freilich, je mehr die Kir-
che und damit auch Mönche und Kleriker, in Verstrickung mit weltlichen Interessen, sei
es durch den sich mehrenden Besitz der Kirche oder durch die Versippung mit dem
weltlichen Adel, kamen, desto zweifelhafter wurde die Befolgung des Verbots des Kriegs-
dienstes für Geistliche vor allem höherer Ränge.

Die von Augustin aus römischem Gedankengut entwickelte Idee des ,bellum iustum',
des (Glaubens-)Verteidigungskrieges als Recht und Pflicht, bestimmte weitgehend das
europäische Mittelalter. Abwehr der Heiden aber auch ihre Besiegung, Niederwerfung,
Missionierung waren die Aufgaben der ,militia Christi' geworden gemäß dem Gebot des
christlichen Königs, zunehmend gemäß dem Gebot der ,Mutter Kirche' seit dem Ende
des 11. Jahrhunderts.

War die Abwehr heidnischer Einfälle im früheren Mittelalter Sache der weltlichen
Herren, so änderte sich nach der (in Rom vielleicht sogar insgeheim als Gottesurteil ge-
gen die Ostkirche empfundenen) Schlacht von Mantzikert 1071 und dem ,Verlust' des
Heiligen Landes dies gemäß dem Grundsatz des römischen Rechts ,Quod omnes tangit'.

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Die Christenheit rechten Glaubens war insgesamt betroffen, und damit der Nachfolger
Petri, der Papst, das Oberhaupt der Christenheit, wie er sich seit Gregor VII. sah. Dabei
wandelte sich, fast ,unter der Hand', der ,miles Christi' im alten Sinne des Glaubens-
kämpfers in den ,miles sancti Petri', dem ,Mann' (im lehnsrechtlichen Sinne) des Hl. Pe-
trus, d. h. des Papstes, bereit auch gegen Ketzer und Schismatiker gemäß päpstlicher De-
finition zu kämpfen. So entstand auch in der Zeit Gregors VII. der erste Plan, in den Ori-
ent zu ziehen, in einen ,Heiligen Krieg', dessen Begrifflichkeit nicht zufällig zu dieser
Zeit auftaucht.

2. Tugendkataloge und Regeln im Abendland
bis zum Beginn der Kreuzzüge

Die beiden großen Antagonisten im Wissenschaftsstreit um das ,ritterliche Tugendsy-
stem', Gustav Ehrismann (1927) und Ernst Robert Curtius (1943) haben bereits auf den
Einfluß des Kreuzzugerlebens, auf die Entwicklung ritterlicher Lebensweise in Mitteleu-
ropa, hingewiesen, ja Curtius formulierte damals (1943) schon:,Endlich muß daran erin-
nert werden, daß auch der Islam ein Ritterideal entwickelt hat, das ,auffallende Überein-
stimmungen' mit dem des christlichen Abendlandes aufweist. Aber der Islam hat auch
eine Minnetheorie geschaffen. Die spanisch-arabische Kultur, ihre Lebensideale und
Dichtungsformen haben nach Südfrankreich hineingewirkt. - Diese Andeutungen genü-
gen vielleicht, um zu zeigen, daß wir eine neue Mittelalter-Wissenschaft auf breitester
Grundlage brauchen'. Es kann hier nicht versucht werden, eine vergleichende Geschich-
te der ,Tugendsysteme' vorzulegen.

Die Zahl der Einzeltugenden schwankt; doch kennt schon die Antike vier Kardinaltu-
genden: Weisheit, Tapferkeit, Mäßigkeit, Gerechtigkeit, zu denen später im Christentum
noch die bei Paulus Aufgezählten drei: Glaube, Hoffnung, Liebe treten, womit die heili-
ge Siebenzahl (analog die Siebenzahl der Sünden!) voll ist. Die Einzeltugenden sind
dann Konkretisierungen oder Ergänzungen - etwa bei Aristoteles schon: Freigebigkeit,
Hochherzigkeit, Seelengröße, Ehrliebe, Sanftmut, Wahrheitsliebe, Gewandtheit im ge-
sellschaftlichen Umgang, Freundlichkeit etc.; bei Cicero: Tapferkeit, Mäßigkeit, Weisheit,
Gerechtigkeit, Gelehrigkeit, Gedächtnis, Verstand, Pflichtgefühl, Menschlichkeit, wozu
bei Horaz noch Gottesfurcht kommt.

Diese Tugenden zu übernehmen war dem Christentum leicht: Athenagoras von
Athen (Ende d. 2. Jahrhunderts) nimmt die vier Kardinaltugenden wieder auf; Ephraim
der Syrer (306 - 373) kennt 32 Einzeltugenden; Johannes Chrysostomus (354 - 407) nennt
drei Kardinaltugenden: Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Wahrhaftigkeit; Makarios der
Ägypter (gest. um 390) nennt: Gebet, Selbstbeherrschung, Barmherzigkeit, Armut, Ge-
duld. Bei Clemens von Alexandria (gest. vor 215) finden sich: Einsicht (Erforschung), Er-
kenntnis, Glaube, Weisheit, Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit, Starkmut, wozu bei Am-
brosius von Mailand (339 - 397) noch die Frömmigkeit kommt. Bei Augustinus (354 -
430) endlich finden sich: Liebe, Klugheit, Starkmut, Selbstbeherrschung, Demut. Wie
man sieht, finden sich bei den verschiedenen Autoren nach Zeit und geographischer Pro-
venienz unterschiedliche Schwerpunkte, worauf ich nur obiter hinweisen möchte.

Dem stehen die im ,ritterlichen' Hochmittelalter als höchste Tugenden aus der philo-
sophischen Theorie entwickelten drei Abstracta: ,summum bonum' (Gott), ,honestum'
und ,utile' (bei Walther v. d. Vogelweide: Gottes Huld, Ehre, irdisch Gut) gegenüber.

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