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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0057

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seines Arztes. Am 26.5.1249 fiel König Enzio, Friedrichs Lieblingssohn, bei einem kleinen
Gefecht in die Hände der Bolognesen, die ihn - trotz aller Bemühungen des Kaisers - bis
zu seinem Tode 1272 gefangenhielten. Im Mai kehrte Friedrich nach Apulien zurück.
Dennoch stand die Sache des Kaisers nicht schlecht: in Oberitalien kämpften die Seinen
mit wechselndem Glück, doch gelang es seinen Truppen, große Teile des Herzogtums
Spoleto und der Mark Ancona zurückzugewinnen. Auch die Alpenpässe konnten gesi-
chert werden und die staufische Flotte besiegte die genuesische. In Deutschland erzwang
Konrad IV. im Sommer 1250 einen Waffenstillstand unter günstigen Bedingungen. Der
Kaiser selbst traf umfangreiche Vorbereitungen, um den geplanten Zug nach Lyon und
Deutschland wiederaufzunehmen. Er war, wie er dem griechischen Kaiser, seinem
Schwiegersohn, schrieb, nun voller Zuversicht.

Da starb Friedrich EL unerwartet nach kurzer Krankheit am 13.12.1250 in Castel Fi-
orentino, unweit Foggia, im Alter von 56 Jahren, gehüllt in das Zisterziensergewand,
nachdem ihm der alte getreue Erzbischof Berard von Palermo auf dem Totenbett die Ab-
solution erteilt und die Sterbesakramente gespendet hatte. Testamentarisch ernannte
Friedrich Konrad IV. zum Nachfolger im Imperium und Oberherrn. In seiner Abwesen-
heit sollte Manfred, Sohn Friedrichs und der Bianca Lancia, Statthalter in Sizilien und in
Reichsitalien sein. Beigesetzt wurde der Kaiser im Dom von Palermo in porphyrenem
Sarkophag nahe seiner ersten Gemahlin, seinen Eltern und seinem normannischen Groß-
vater.

Die Nachricht vom Tod des Kaisers wurde wohl zunächst geheimgehalten. Als sie be-
kannt wurde, erschütterte sie die ganze damalige Welt. Zweifel an seinem Tod wurden
laut, allenthalben tauchten falsche Friedriche auf, in Sizilien glaubte man ihn in den Ätna
entrückt, in Deutschland in einen Berg, um als Endkaiser wiederzukehren, die verwelt-
lichte Kirche zu strafen und das römische Reich in Frieden zu erneuern. Vivit et non vivit,
,Er lebt und er lebt nicht', wie die Erythräische Sybille geweissagt hatte, fortlebend aber
auch in seinen Nachkommen, wie der Vater in seinen Testamenten betont, Sonne in un-
vorstellbarem Glanz in seinen Söhnen weiterleuchtend. In Wirklichkeit war binnen 12
Jahren deren keiner mehr am Leben: Opfer des gigantischen, vom Vater übernommenen
Kampfes mit der Kurie.

Ein zuverlässiges Porträt Friedrichs EL besitzen wir nicht. Alle bekannten Abbildun-
gen sind lediglich typische Darstellungen. Friedrichs äußere Erscheinung war wohl nicht
allzu imponierend: mittelgroß, aber kräftig und ausdauernd, ohne Bart, wie auch die
meisten seiner Anhänger (barbarasi). Eine gewisse Heiterkeit hatte er wohl vom Großva-
ter und den älteren Staufern geerbt. Sein Charakter war zwiespältig, sicher ein Ergebnis
seiner unsteten und lieblosen Kindheit: neben bezaubernder Liebenswürdigkeit und
Heiterkeit - Grausamkeit. Härte und Starrsinn neben überlegener Intelligenz und Sinn
für Realitäten, Toleranz neben Unduldsamkeit, jähe Sinnlichkeit neben echter Frömmig-
keit. Unausgeglichenheit und Zwiespältigkeit in Persönlichkeit und Wirken.

Man kann Friedrich weder als den ,ersten modernen Menschen auf dem Thron' (]■
Burckhardt) noch als ,Wegbereiter der Renaissance' (F. Kampers) bezeichnen: wenn
auch seine geniale Persönlichkeit manche Tendenzen späterer Zeiten vorwegnahm, so
war er doch alles in allem ein Mensch des Mittelalters. Freilich hatte er in Sizilien das
Glück, in einer Mischkultur aufzuwachsen, die in einzigartiger Weise Elemente der Anti-
ke, arabischer und jüdischer Weisheit mit abendländischem Geist des Mittelalters und
normannischer Nüchternheit verschmolz. Dem entsprach das geistige Leben an seinem
Hofe gleichsam in einer höfischen ,Gelehrtenrepublik' (Kantorowicz), in der Natur- und

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Geisteswissenschaften, Poesie und Mathematik, Übersetzungen und eigene Literatur, la-
teinische wie die des Volgare gepflegt bzw. gefördert wurden. Wissenschaft um der Er-
kenntnis willen ohne Rücksicht auf überlieferte Autoritäten kennzeichnet die Haltung
Friedrichs und seines Hofes.

Gehalt und Stil seiner großen Gesetzeswerke und Staatsmanifeste, die von späteren
Generationen als vorbildlich übernommen wurden, seine Bauwerke, insbesondere das
klassische Castel del Monte - steingewordene Verschmelzung von Poesie und Mathema-
tik - vor allem aber Friedrichs eigenstes Werk, das auf eigener experimenteller For-
schung beruhende Buch über die Falkenjagd (,De arte venandi cum avibus') - noch heu-
te ein Standardwerk der Ornithologie - zeugen von der Ausprägung und dem geistigen
Rang Friedrichs und seiner Welt. So zukunftsträchtig Friedrichs Werk im geistigen Be-
reich und in der Staatskonzeption als solcher war, so ist andererseits sein eigentliches po-
litisches Wirken von der Tragik des Scheiterns gekennzeichnet.

Seine Kaiseridee, im Metaphysischen ebenso begründet wie in der Naturnotwendig-
keit der politischen Ordnung, griff auf Spätantike und christlich-jüdisches Gedankengut
des Mittelalters zurück und betonte die sakrale Würde, kraft derer und wegen der uni-
versalen Aufgabe Friedrich den Vorrang des Kaisers vor allen weltlichen Herrschern be-
anspruchte - schon insoweit im Zeitalter der heraufkommenden Nationalstaaten unzeit-
gemäß (rex imperator in regrto suo).

Friedrichs Wirksamkeit in Deutschland ist umstritten. Sicher hat er Deutschland nie
als Schwerpunkt seiner Herrschaft gesehen wie seine Vorgänger, sondern Sizilien, wo
wesentlich modernere Strukturen zu verwirklichen waren. Auch lagen ihm nationale
deutsche Interessen schon von seiner universalen Kaiseridee her - und nur eine solche
war überhaupt noch denkbar - fern. Dennoch kann man ihm kaum die beginnende deut-
sche Zerrissenheit anlasten.

Sicher hat Friedrich angesichts der realen Gegebenheiten richtig erkannt, daß die Ent-
scheidung über das Kaiserrum und seine Macht in Italien im Kampf mit dem Papsttum
und den oberitalienischen Städten fiel. Sein Fehler war, daß er diese beiden Mächte in
übersteigertem Selbstbewußtsein oft unterschätzte: Ausfluß einer gewissen Maßlosig-
keit. Sein Verhältnis zur Kirche war Ergebnis langjähriger Erfahrung: Endpunkt einer
Entwicklung und gleichzeitig in seinem Appell an ein allgemeines Konzil und seiner Ar-
mutsforderung ein zukunftsweisender Anfang. Alles in allem: Vollendung und Unter-
gang liegen selten so nahe wie bei ihm, in dessen Persönlichkeit und Schicksal soviel Wi-
dersprüchliches und Unauflösbares, letztlich Tragisches vereint ist. Nicht umsonst hat
daher die Gestalt des Staufers, den wir mit Recht zu den größten Kaisern der an gewalti-
gen Persönlichkeiten ohnehin nicht armen mittelalterlichen Geschichte, zählen, seit sei-
ner Zeit die Menschen fasziniert. In Freund und Feind schieden sich seit eh und je die
Geister, die sich mit ihm beschäftigten: gleichgültig ließ er keinen. Salimbene von Parma,
Johann von Victring, Dante, Boccaccio, Benvenuto von Linola, Petrarca, Aenea Sylvio Pic-
colomini, Nikolaus von Cues, Wimpheling, Luther, Hutten, Melanchthon, Muratori,
Herder, Grabbe, Nietzsche, Jacob Burckhardt haben sich mit Friedrich befaßt - um nur
einige Namen zu nennen. Doch hat die eigentliche wissenschaftliche Bearbeitung der
Geschichte Friedrichs erst im 19. Jahrhundert eingesetzt - sie ist bis heute nicht zur Ruhe
gekommen.

Friedrich IL, Italiener von Geburt, Normanne und Deutscher durch Abstammung,
Christ aus Tradition und - wie wir glauben - aus Überzeugung, dennoch frei in seinen
Anschauungen von der Schwere des Traditionalismus, Freund der Wissenschaften und

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