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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Schmarsow, August: Die reine Form in der Ornamentik aller Künste, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0322
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318 AUGUST SCHMARSOW.

inhalt als solcher rein zu seinem Recht oder seiner vollen Wirkung.
Und so bewährt sich doch auch hier: Wiederholung ist ein Wahrzeichen
der Ornamentik, aber eben des Typischen, des Allgemeingültigen, nicht
des vollgültigen Individuums in seiner tiefgreifenden, wurzelhaften Ur-
sprünglichkeit und Einmaligkeit. Wo im zweiten Gliede die Ausdrucks-
gestaltung über ein Echo desselben Sinnes hinausgreift zu einem neuen
Bild, zu einem anderswo erwachsenen Symbol, da gewinnt es immer
selbständigere Bedeutung, steigt von der Gleichberechtigung mit dem
ersten wohl gar zur Überlegenheit, zur entscheidenden Bedeutung auf.
Und so entwickelt sich aus der dienenden, begleitenden, die dargebotenen
Werte nur vermittelnden Ornamentik ein höheres und eigentliches Kunst-
mittel der schöpferischen Darstellung selbst; die Bereicherung mit
neuen Werten greift in die organische Bildung der Wortkunst selber
ein, und damit immer unmittelbarer in die Dichtung selber. Die Orna-
mentik hilft nicht nur selbst einkleiden, sondern auch in die rechte
Form bringen, die solchem Wert erst die leichte Aufnahme bereitet, die
menschliche Empfänglichkeit sichert und die vollgültige Wirkung erobert.

Anhang.

Zum Schluß noch ein paar Beispiele. Zunächst für die strenge Komposition
nach dem Inhalt: Goethes Ballade vom Fischer. Wir ordnen die vier Strophen als
Aufbau in zwei Kolumnen oder Stollen, deren erster von unten nach oben aufsteigend
gelesen werden muß, während der zweite der gewohnten absteigenden Schreibweise
folgt, weil dies der Tendenz des Inhalts entspricht. Die dritte Strophe bringt die
Peripetie hervor, die den Fischer von Sonne und Mond, vom Himmel droben in
seine Spiegelung auf der Wasserfläche niederschauen läßt und durch den betörenden
Zauber des eigenen Abbilds die Entscheidung herbeiführt, die sich in der letzten
Strophe nur tatsächlich, sozusagen vor unseren Augen vollzieht, vom Fuß zum Herzen
und zum Kopf, mit dem er seiner Verführerin entgegensinkt. Die beiden mittleren
Strophen gehören als Rede zusammen; sie können also nur parallel nebeneinander
gesetzt werden, um — bei aller inneren Steigerung der Überredungsmittel, der ent-
sprechend sie auch weiter aufsteigend geschrieben werden möchten, — die Einheit
ihres Sinnes zu veranschaulichen; denn sie bleiben doch Satz und Wiederholungs-
satz. Sonst müßte die adäquate Form pyramidal gegeben werden, über den beiden
unteren Stollen, die breiter ausladen mögen, nach der Art der Wasserfläche, der sie
entsprechen sollen, als eine zusammenfassende Qipfelung zur Höhe.
 
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