Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

DOI Artikel:
Gneiße, Karl: Bewegung als Merkmal des Schönen bei Schiller und bei neueren Ästhetikern
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0363
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEWEGUNG ALS MERKMAL DES SCHÖNEN BEI NEUEREN ÄSTHETIKERN. 35g

und sagt (S. 106): »Die Lösung des künstlerischen Problems ist Eu-
rhythmie der Raum- und Körperwerte für das menschliche Subjekt.«
Rhythmisch ist die Bewegung des das Kunstwerk abtastenden Auges.
Eurhythmie aber zeigt auch der Gegenstand selber, und da Rhythmus
entweder an einer wirklichen oder an einer vorgestellten Bewegung
erscheint, so kann Eurhythmie der Raum- und Körperwerte, wenigstens
bei einem Bauwerke, nur von einer unser Gefallen erregenden an-
scheinenden Bewegung des Raumes und der in ihm sich darstellenden
Körper ausgesagt werden.

Wann die den Raum- und Körperwerten eignende Bewegung zur
Eurhythmie wird, wann diese Bewegung eine gute, d. h. im ästhetischen
Sinne wohlgefällige Bewegung ist, kann uns eine andere Stelle zeigen
aus der Schrift »Kompositionsgesetze in der Kunst des Mittelalters«
(Leipzig, Teubner 1915), die ich von Werner in der Zeitschrift für
Ästhetik 12 (1917), S. 145 angeführt finde: »Die Raumeinheit wird für
den Betrachter erst mit, oder genauer gesagt, erst nach dem Durch-
schreiten des Gebildes gewonnen. Der Raum setzt sich aus kleineren
Räumen zusammen. Ihr wohlgefälliges Zusammenstimmen untereinander
und zum Ganzen ist der wesentlichste Faktor für den künstlerischen
Genuß am christlichen Gotteshause.« Damit wäre Zusammenstimmen
der verschiedenen Teilbewegungen unter sich und zum Ganzen Be-
dingung des ästhetischen Genusses. Das ist zweifellos richtig. Aber
mit diesem Zusammenstimmen ist es noch nicht getan. Auch eine
Maschine bewegt sich in ihren Teilen und als Ganzes rhythmisch und
harmonisch, und doch wird das Gefallen, das wir an ihr haben, mehr
bedingt sein durch die vollkommene Erfüllung der Zwecke, denen sie
dient, als durch die Schönheit ihrer Erscheinung. Es muß noch etwas
anderes zu der Eurhythmie hinzukommen, das bei Schmarsow nicht
gefordert ist und das Schiller als Freiheit bezeichnet hat. Sehr deutlich
dürfte, worum es sich handelt, aus der Stelle des Briefes an Körner
vom 23. Februar 1793 hervorgehen, in der Schiller die Wirkung der
Komposition einer schönen Landschaft erklärt. »Eine Landschaft ist
schön komponiert, wenn alle einzelnen Partien, aus denen sie besteht
so ineinander spielen, daß jede sich selbst ihre Grenze setzt und das
Ganze das Resultat von der Freiheit des Einzelnen ist. Alles in einer
Landschaft soll auf das Ganze bezogen sein, und alles Einzelne soll
doch nur unter seiner eigenen Regel zu stehen, seinem eigenen Willen
zu folgen scheinen. Es ist aber unmöglich, daß die Zustimmung zu
einem Ganzen kein Opfer vonseiten des Einzelnen koste, da die
Kollision der Freiheit unvermeidlich ist ... Wo bliebe aber nun die
Harmonie des Ganzen, wenn jedes nur für sich selbst sorgt? Daraus
eben geht sie hervor, daß jedes aus innerer Freiheit sich gerade die
 
Annotationen