Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

DOI article:
Spitzer, Hugo: Apollinische und dionysische Kunst, [1]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0088

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
84 HUGO SPITZER.

wissen Formulierungen in letzter Instanz ankam, bloß weil jene ver-
schiedenen Konzeptionen beständig vermengt wurden. Er ist nicht das
Opfer eines »Psittazismus« im Leibnizischen, durch Dugas wieder zu
Ehren gebrachten Sinne geworden — denn die Bezeichnung »affektiver
Zustand« für Gefühl war damals in Deutschland wohl kaum gebräuch-
lich —, aber er ließ sich durch die Verwandtschaft der Begriffe selbst
auf Abwege locken. Einerseits in methodischem Interesse mit vollem
Recht eine vorwiegende Achtsamkeit auf das ästhetische Objekt und
dessen Beschaffenheit fordernd und anderseits ausgehend von der un-
bestreitbaren Tatsache, daß es affektfreie Schönheits- und Kunst-
wirkungen gibt, behauptete er die strenge Objektivität der ästhetischen
Urteile, die gar nicht mit »Erregungen von Lust und Unlust« »ver-
mischt« werden sollten, sowie das Vorhandensein gewisser ästhetischer
Eindrücke, die mit solchen Urteilen beginnen, während einzelne seiner
Schüler (Nahlowsky), wenn sie auch vielleicht nicht gerade selbst in
den entgegengesetzten Irrtum verfielen und die Affekterregung als einen
wesentlichen Bestandteil aller ästhetischen Impressionen ansahen, doch
mittels einer zweideutigen Terminologie, indem sie von »gemütlicher
Erregung« sprachen, wo sie einfach »Gefühl« meinten, diesen Irrtum
begünstigten und seiner Entstehung in anderen Vorschub leisteten.
Darum erscheint es als das unerläßlichste und dringendste Erforder-
nis für eine Untersuchung, welche das Verhältnis apollinischer und
dionysischer, d. h. affektfreier und mit Affekterregung verbundener
Kunstwirkungen klarlegen will, von vornherein zu bestimmen, in
welchem Sinne das Wort »Affekt« gebraucht wird, und diesen Ter-
minus gegen die Nachbarbegriffe scharf abzugrenzen.

In den folgenden Darlegungen wird »Affekt« stets für »Gemüts-
bewegung« in der gewöhnlichen Bedeutung dieses Ausdruckes ge-
nommen werden; auch eine schwache Gemütsbewegung wird daher
ein »Affekt« heißen; von den Gefühlen oder Emotionen werden jedoch
die Affekte insofern wohl unterschieden werden, als sie sich zu jenen
wie das Besondere zum Allgemeinen, wie die Art zur Gattung ver-
halten. Ob einer solchen Nomenklatur die Zukunft gehört, läßt sich
schwer voraussehen; gewiß aber ist sie heute nicht unstatthaft und
wird sie noch eine Zeitlang ihre Vertreter finden. Die Affekte sind
also nur eine spezielle Gruppe von Gefühlen. Und ohne auf die
schwierige, überaus heikle Frage näher einzugehen, was denn wohl
diese Zustände untereinander verbindet und sie eben als eine in sich
abgeschlossene Gruppe in der Gesamtheit der emotionalen Erschei-
nungen kenntlich macht — eine Frage, deren Beantwortung für sich
allein eine ganze lange Abhandlung erfordern würde —, kann man so
viel mit Sicherheit behaupten, daß die Affekte unter denjenigen Emo-
 
Annotationen