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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Groos, Karl: Zum Problem der ästhetischen Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0301

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XIII.

Zum Problem der ästhetischen Erziehung.

Von

Karl Groos.

Ich spreche hier von der Erziehung der Nation zum ästhetischen
Genießen. Damit ist die umfassendere Aufgabe der ästhetischen
Erziehung bezeichnet. Denn die Anleitung zur Ausübung einer
Kunst wird bei solchen, die nicht zum wirklichen Künstlertum berufen
sind, also bei der großen Mehrheit der ästhetisch zu Bildenden, ihren
gesichertsten Wert der Tatsache entnehmen, daß gerade sie besser als
irgend eine andere Methode dazu dient, die Fähigkeit des Genießens
zu bereichern und zu verfeinern. Im übrigen steht dem gewiß hoch-
zuschätzenden Vergnügen des Dilettanten an der eigenen Produktion
häufiger, als erwünscht ist, eine andersartige Gemütsverfassung auf
Seiten derer gegenüber, die Zeugen seiner Leistungen zu sein ge-
zwungen sind.

Ich denke in erster Linie an das ästhetische Genießen des Er-
wachsenen. Der wissenschaftliche Unterricht wird zielbewußt beim
Kinde einsetzen können und müssen. Aber die ästhetische Erziehung
ist in vielen Punkten ihrer Ziele nicht sicher. Die Erzieher selbst
müssen noch erzogen werden; sie müssen erst ihr eigenes ästhetisches
Genießen ausbilden, ehe sie ästhetische Lehrer sein können. Nur was
erlebt ist, kann Leben in andern wecken; die Fähigkeit der Erwachse-
nen, ästhetisch zu erleben, bedarf aber in Deutschland umsichtiger
Pflege.

Das Problem der ästhetischen Bildung kann nur dann mit Aus-
sicht auf praktischen Erfolg in Angriff genommen werden, wenn man
sich zuvor durch Untersuchung der tatsächlich bestehenden
Mannigfaltigkeit von Natur- und Kunstgenüssen eine sichere
psychologische Grundlage geschaffen hat. Es genügt nicht, ohne
weiteres durch philosophische Deduktionen festzustellen, welches Ver-
halten als das »wahrhaft« ästhetische zu gelten habe und zu fordern
sei. Selbst wenn wir den Fall setzen, daß auf solche Weise das
höchste Ziel ästhetischer Bildung eindeutig bestimmt sei, wird der Er-
zieher doch so lange im Körperlosen schweben, als er nicht Klarheit

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. I. 20


 
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