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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Stieglitz, Olga: Die sprachlichen Hilfsmittel für Verständnis und Wiedergabe von Tonwerken, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0370

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XVII.

Die sprachlichen Hilfsmittel für Verständnis
und Wiedergabe von Ton werken.

Von

Olga Stieglitz.

6. Einführung in die Untersuchung.

Die vorausgegangene Darlegung läßt deutlich erkennen, daß alle
Arten musikalischer Vortragsbezeichnungen wie Erklärungen seit ihrem
ersten Auftreten nicht nur zu größerer Mannigfaltigkeit, sondern auch
zu immer häufigerer Verwendung gelangt sind, eine Tatsache, die mit
der allgemeinen Entwickelung der Musik im engsten Zusammenhange
steht. Um ein Bild zu gebrauchen, so ist es, als ob eine träge Masse
zuerst langsam und widerstrebend, allmählich in schnelle und immer
schnellere Bewegung, endlich in ein Vibrieren gerät, bei dem auch die
kleinen und kleinsten Teile gesondert mitschwingen.

Erhöhtes Interesse gewinnt diese Erscheinung mit der Erwägung,
daß das unerwartete Emporblühen und Lebendigwerden einer Kunst,
die vorher lange Zeit hindurch kaum bemerkbare Fortschritte aufwies,
nicht als Spiel des Zufalls betrachtet werden kann. Vielmehr tritt uns
auch hier eins der Symptome jener großen Veränderungen vor Augen,
die sich während der letzten drei Jahrhunderte in Lebenshaltung und
Geistesrichtung der führenden Kulturvölker Europas vollzogen haben.
Der bedeutsame Umschwung von äußerer wie innerer Gebundenheit
durch Gesetzes- und Autoritätenzwang zur Forderung des Rechtes der
Selbstbestimmung und zur Erkenntnis des Persönlichkeitswertes spiegelt
sich bei den musikalisch veranlagten Nationen auch in ihrer Tonkunst
wider.

So sehen wir, wie die Musik in Deutschland während ihrer früh-
sten Stadien teils unter geistlicher Botmäßigkeit im Banne fester Regeln
steht, teils blindlings fremdländischen Einflüssen folgt, so daß Erfin-
dung wie praktische Ausübung fast einen unpersönlichen Charakter
gewinnen. Nach und nach von diesen Fesseln gelöst, ist sich deutsche
instrumentale Tonkunst geraume Zeit hindurch ihrer eigentlichen Kräfte


 
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