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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Spitzer, Hugo: Apollinische und dionysische Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0091

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APOLLINISCHE UND DIONYSISCHE KUNST. 87

ob sie es auch nach der allerstrengsten, exaktesten Auffassung sind,
d. h. ob sich das ästhetische Gefühl schon an die elementare Emp-
findung knüpft oder ob, wie Kant und Herbart wollten und wie auch
einige Häupter der wissenschaftlichen Philosophie der Gegenwart,
z. B. Wundt und Jodl, behaupten, erst aus Kombinationen der Stücke
des Empfindungsinhaltes, mithin aus höheren psychischen Gebilden
das ästhetische Wohlgefallen entsprießt. Unstreitig sind es mit dem
Sinneseindruck verschmelzende und darin aufgehende, keiner davon
gesonderten Vorstellung bedürfende Gefühle, »Genüsse des Auges und
des Ohres«, welche im Bereich der ästhetischen Emotionen einen
breiten und wichtigen Raum einnehmen. Da nun aber derartige Ge-
nüsse mit Affekten offenbar nichts zu tun haben, da auch das Ordnen
des Empfindungsinhaltes in Formen oder das Erfassen gewisser Be-
ziehungen in dem elementaren sinnlichen Material zwar wohl die Er-
hebung des Inhaltes auf eine höhere Stufe der Bewußtseinsfunktionen
bedeuten, aber keinerlei affektives Moment hinzubringen würde, so
scheint das Vorhandensein affektfreier ästhetischer Wirkungen erwiesen
und damit der Plan dieser Studien gerechtfertigt. Das Verhältnis der
apollinischen zur dionysischen Kunst darzulegen, wenn die erstere eine
Kunst sein soll, die keine Affekte wachruft, ist dann nicht ein vergeb-
liches, an sich undurchführbares Unternehmen, über das im vorhinein
der Stab gebrochen werden müßte. Die Frage ist nur die, ob der
indirekte Beweis, welcher hier erbracht wurde, Stich hält, ob sich nicht
vielleicht dennoch auf anderem Wege zeigen läßt, daß die ästhetischen
Gefühle Affekte sind, sei es Formen eines Affekts eigener Art, sei es
Manifestationen einer der wohlbekannten, von altersher unterschiedenen
Gemütsbewegungen, so daß einfach der Begriff des Affektes, der Ge-
mütsbewegung zu ändern und die Verschiedenheit vom sinnlichen
Gefühl aus seiner Definition zu entfernen wäre. Auf diese Frage, die,
wie man sieht, zwei Probleme in sich schließt, soll der nächstfolgende
Teil dieser Untersuchung antworten.
 
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