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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0153

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BESPRECHUNGEN. 14g

positions- und Raumprobleme des figuralen Altarbildes sind natürlich von gleicher
Bedeutung wie die Luftperspektive der Holländer. Die Darstellung der Verfasserin
erweckt den Anschein, als hätten wir es hier mit einer geringeren Kunst zu tun.
Das ist durchaus nicht der Fall. In der flämischen Auffassung ist die Luft als Ele-
ment der Landschaft nicht bekannt; das Terrain ist die Hauptsache, die Luft not-
wendige Zugabe; der Boden, die Bäume sind dem Flamländer das wichtigste Ele-
ment. Wie sich bei den Holländern aus dem Atmosphärischen der Einplan und das
Breitformat, so ergibt sich bei dem Flamländer der Dreiplan und das Hochformat.
Aus dem holländischen Prinzip des rein Malerischen folgt die Loslösung des Rahmens
als Bestandteil der Komposition. Er ist es im ganzen Mittelalter gewesen und in
der italienischen Renaissance. Mit der Selbständigwerdung der Malerei wird der
Rahmen eine Umrahmung der Malerei. Bei den Flamländern bleibt der Rahmen
ein integrierender Teil der Totalkomposition, die es also nicht mit rein malerischen,
sondern architektonischen und linearen Elementen zu tun hat. Auch der Aufbau des
Bildes selbst richtet sich nach seinem Verhältnis zur Gesamtkonstruktion. Hier haben
wir in der Tat zwei Welten. In Wirklichkeit bleiben beide nicht voneinander ge-
trennt. Sie vermischen sich. Als die großartigsten Beispiele dieser Vermischung
holländischer und flämischer Elemente charakterisiert die Verfasserin in glänzenden
Analysen die Malerei Jan van Eycks, Roger van der Weydens (S. 26—30) und Dirk
Bouts (S. 35—41). Durch das »atmosphärische Wesen« der holländischen Schule sind
Farbenglut, Kraft, Saft, Lebensjubel, flutende Lichtwellen, freie Luft, Sonnenglanz,
Lebensfülle in die Malerei des van Eyck gekommen. Das Holländische in Dirk
Bouts Bildern ist »die Intensität der Farbe und das Feuchte, Atmosphärische, aber
vor allem die Stimmung«. Da wo die fremden Einflüsse die heimisch-holländische
Eigenart, die atmosphärische Empfindlichkeit, die Lichtliebe ersticken, tritt Erstarrung
und Formalismus ein. Das Leben flieht, die Kunst verliert ihren Lebenssaft, sie
wird dürr und mager. »Der nationale Fehler, alles Ausländische besser und schöner
zu finden, hatte sich gerächt und die Kunst gebrandmarkt.« Dieses verdammende
Urteil fällt die Verfasserin über die Abhängigkeit der holländischen Malerei von der
deutschen Schongauers und Dürers, im 16. Jahrhundert. Dieses Jahrhundert war
für Holland nach einer relativen Blüte im 15. Jahrhundert eine Zeit des Tiefstandes,
der Dürre und Verarmung nationaler Kräfte. Die Macht der Linie verdrängte das
Licht. Die eindringliche und detaillierende Zeichnung Schongauers und Dürers be-
siegte das Atmosphärische und das Gefühl für die Tonwerte. Die Signatur der
Malerei wird: »hohle Leere der Schnörkellinie, Abkühlung der Atmosphäre; die
warmen Farben verloren ihre Innigkeit, ihr ausstrahlendes Leben, sie erbleichen zu
blutlosen Scheinfarben, ohne innerlichen, notwendigen Zusammenhang.« Die Maler
sahen nicht mehr die von der Atmosphäre hervorgebrachte innerliche Harmonie, in
welche die Farben zusammenfließen. So mußte die Landschaft zeitweise aus der
Kunst verschwinden, denn ohne Atmosphäre konnte sie nicht existieren. Trotz der
Vorherrschaft der deutschen Linien- und Zeichenkunst lebten doch einige Maler, die
das alte Erbteil der holländischen Schule in das 17. Jahrhundert hinüberretteten,
Lucas van Leyden und Pieter Ärtsen; beider Werke werden von der Verfasserin in
ihren malerischen Qualitäten, in ihrem atmosphärischen, von Sonnenlicht erfüllten
Leben, in ihrem wunderbaren Raumgefühl wieder vorzüglich charakterisiert. Ana-
lysen wie diese geben dem Leser des Buches einen reinen künstlerischen Genuß.
Die beiden Richtungen, die sich in Lucas vereinigt hatten, die deutsche, lineare und
figürliche, später italisierende und die holländische, landschaftliche, atmosphärische,
begannen sich nach ihm wieder selbständig zu entwickeln, so daß mit Lucas die un-
erquickliche Übergangsperiode abschloß, das Ausländische ausgestoßen wurde und
 
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